Beratungsstellen für Behinderte stehen bei Haushaltsplanberatungen zur Disposition. Foto: dpa

Das Bundesteilhabegesetz stärkt die Rechte von Menschen mit Behinderungen, die Umsetzung birgt Risiken. In Stuttgart steht deshalb die Existenz einer Beratungsstelle vor dem Aus.

Stuttgart - Der Beirat für Menschen mit Behinderungen war, überraschend, Bühne für einen politischen Schlagabtausch. Dabei ging es um das Bundesteilhabegesetz, mithin um Verbesserungen für Menschen mit Behinderungen und damit um das Interesse von rund 80 000 Menschen im Land. Das Gesetz ist nicht strittig, doch die Umsetzung, zu der die Einführung einer „ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatung“ (EUTB) gehört, wirft in Stuttgart Gräben auf.

Beratung ohne Eigeninteressen

Zur Debatte steht die weitere Förderung der Beratungsstelle für Behinderte und deren Angehörige. Träger ist der Caritasverband. „Die Sozialverwaltung erachtet dieses Angebot ab dem Jahr 2018 strukturell für verzichtbar“, heißt es in einer Vorlage, die am Montag dem Sozialausschuss präsentiert wird und deren Inhalt im Beirat für Menschen mit Behinderung zur Kontroverse geführt hatte. „Die SPD will keine Kürzungen bei Caritas“, sagte Stadträtin Marita Gröger. „Etwas zu zerschlagen, was funktioniert, halte ich für falsch.“ Jochen Stopper (Grüne) hielt dagegen: „Es ist unsere Aufgabe, auch Angebote zu reduzieren. Wir sollten keine Parallelstrukturen finanzieren.“

Das Bundesteilhabegesetz soll „das Wunsch- und Wahlrecht von Menschen mit Behinderungen stärken und ihnen die Entscheidung erleichtern, wie und wo sie leben wollen“, heißt es in einer Mitteilung des Staatsministeriums vom 14. November. Deshalb sollen sie dort Beratung holen können, wo keine monetären Interessen hinter den Empfehlungen stehen. Der Bund fördert deshalb künftig aus Steuermitteln unabhängige Beratungsstellen. Diese sollen friedlich neben Beratungszentren kirchlicher oder karitativer Träger existieren. Außerdem empfiehlt der Bund auch Beratungsstellen, die aus dem Kreis Betroffener (Peer-Beratung) gegründet werden.

Caritas fürchtet Kompetenzverlust

In Stuttgart gibt es bereits sechs Bewerber um die Anerkennung als unabhängige Teilhabeberater. Sie haben ihre Bewerbung beim Landessozialministerium eingereicht, dieses hat priorisiert und dem Bund eine Empfehlung ausgesprochen. Noch bis zum 30. November läuft die Frist. Da außerdem bereits eine Peer-Beratung in Stuttgart existiere, wolle man „auf die weitere Förderung der Caritas-Beratungsstelle verzichten“, so Sozialbürgermeister Werner Wölfle (Grüne). Die Streichung des jährlichen Betriebskostenzuschusses von rund 37 000 Euro sei ein „Vorschlag zur strukturellen Verbesserung des Haushalts“. Notfalls könnte dies auch erst in ein oder zwei Jahren geschehen, „wenn man weiß, ob die neue Struktur auch funktioniert“, so Wölfle.

Uwe Hardt, der Vorstand der Stuttgarter Caritas, hält es nicht für machbar, die Beratungsstelle mit Kosten von jährlich rund 120 000 Euro ohne Zuschüsse zu betreiben. Sollte das Beispiel Schule machen auch bei Beratungsstellen für Menschen mit anderen Behinderungen, sei „zu befürchten, dass Kompetenz aus der Beratungslandschaft ausgeschlossen wird“.

Die Caritas-Beratungsstelle hält rund 1000 Kontakte pro Jahr, darunter 30 Begleitungen etwa zur Inklusionsschule, zur Einführung in Arbeit, bei Behördengängen oder zur Besichtigung von Einrichtungen. „Nicht alle, die Rat suchen, sind geistig fit oder können sich klar äußern, da fangen die Schwierigkeiten schon bei der Kommunikation an“, sagt Beate Lachenmaier, die Leiterin der Behindertenhilfe bei der Caritas. Auch das Spektrum der Problemlagen sei groß. „Es wäre schade, wenn diese Kompetenz mit einem Pinselstrich weggefegt würde.“

Diskussion im Sozialausschuss

Der städtische Beauftragte für Behinderte, Walter Tattermusch, war von der Verwaltung nicht um eine Stellungnahme gebeten worden, noch hatte er sich in der betreffenden Beiratssitzung zu Wort gemeldet. Auf Anfrage räumt er nun ein: „Meiner Einschätzung nach wird der Beratungsbedarf zunehmen, wir werden alle Beratungsstellen brauchen.“ Die CDU-Fraktion mahnte vergangene Woche die versäumte Beteiligung von Tattermusch an. An diesem Montag könnte dessen Stellungnahme, die seinen Angaben nach inzwischen erfolgt ist, dem Sozialausschuss vorliegen.

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales fördert die EUTB zunächst für drei Jahre mit rund 50 Millionen Euro jährlich, davon entfallen auf Baden-Württemberg 6,2 Millionen Euro. Die Förderung wird laut Landessozialministerium nicht zu Lasten bestehender Beratungsangebote erfolgen.