Joaquin Phoenix als Larry „Doc“ Sportello und Reese Witherspoon als Deputy D. A. Penny Kimball in einer Szene des Films „Inherent Vice – mehr Szenen in unserer Bildergalerie. Foto: dpa

Verwirrend, skurril und auch grandios: Paul Thomas Anderson hat erstmals einen Thomas-Pynchon-Roman verfilmt, in dem Joaquin Phoenix und Reese Witherspoon wie in "Walk the Line" gemeinsam vor der Kamera stehen. Eine skurrile Episode reiht sich an die nächste - doch die Episoden sind herrlich detailverliebt, klug umgesetzt und gespickt mit Anspielungen auf Politik und Gesellschaft der USA am Ende der Flower-Power-Ära.

Filmkritik und Trailer zum Kinofilm "Inherent Vice - Natürliche Mängel"

Es mag naheliegendere Typen für den Job eines Privatdetektivs geben als diesen Larry „Doc“ Sportello (Joaquin Phoenix), selbst im Los Angeles des Jahres 1970. Hippieklamotten, gewaltige Koteletten und die nicht gerade gedächtnisfördernde Angewohnheit, die ganze Zeit bekifft zu sein.

Doc ahnt nicht ansatzweise, in was für einen Schlamassel er sich begibt, als ihn seine Ex-Freundin Shasta (Katherine Waterston) um einen Gefallen bittet: Er soll ein Auge auf ihren neuen Lover werfen, der wohl Opfer eines Komplotts werden soll. Jener Geliebte ist der millionenschwere Immobilienhai Mickey Wolfmann, ein Jude, der Nazi-Rocker als Bodyguards hat. Kurz darauf wacht Doc, nach einem Schlag auf den Kopf, neben der übel zugerichteten Leiche eines dieser Bodyguards auf. Kurz vor dem Knock-out hatte er „Paranoia-Alarm“ in sein Notizbuch gekritzelt.

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Paranoia und Verschwörungen gehören zu den wiederkehrenden Motiven im Werk des US-Schriftstellers Thomas Pynchon. Seine hochkomplexen Romane werden von Kritikern gefeiert, als leicht verfilmbar gelten sie nicht. Am ehesten noch „Natürliche Mängel“, sein vielleicht zugänglichstes Buch.

Verschrobener Humor und wunderbar unaufdringliche Ausstattung

Mit Paul Thomas Anderson („There Will be Blood“) hat sich nun ein Regisseur, der seinerseits für komplexe Werke steht, an die bislang erste Pynchon-Verfilmung überhaupt gewagt. Das Ergebnis ist so nahe am Roman, wie es eine Filmadaption wohl nur sein kann, mit oft wortgetreuen Dialogen, einem verschrobenen, tiefschwarzen Humor und einer wunderbar unaufdringlichen Ausstattung im Stil der 1970er Jahre.

Umwerfend agiert dabei Phoenix als stets in Sandalen durch den Film schlurfender Doc, grandios allein die Variationen seines Blickes, der zwischen teilnahmslos über paranoid zuckend bis hin zu fassungslos changiert – wobei er oft selber nicht zu wissen scheint, ob die Fassungslosigkeit den Drogen-Halluzinationen oder dem Irrsinn der Realität geschuldet ist.

Teil dieses Irrsinns ist der von Josh Brolin kongenial gespielte Detective „Bigfoot“ Bjornsen, ein knallharter, latent gewaltbereiter Superbulle mit akkuratem Bürstenhaarschnitt und einer Vorliebe für geeiste Schoko-Bananen, der Doc als Informanten schätzt, aber eigentlich alle Hippies hasst.

Verwirrend wäre untertrieben

Und die Story? Verwirrend wäre untertrieben. Neben Wolfmann und den Nazi-Rockern muss sich der kiffende Ermittler bald mit einem vermeintlich toten Surfband-Saxofonisten befassen, was ihn wiederum auf die Fährte der „Golden Fang“ bringt, eines mysteriösen Schiffes, zugleich der Name eines asiatischen Drogenkartells und eines dubiosen Zahnärztekonsortiums, von wo der Weg in einer der surrealsten Szenen zu einer sektenähnlich organisierten Entzugsklinik führt. Alle Verknüpfungen mitzukriegen erfordert höchste Aufmerksamkeit.

Wer hier einen klassischen Spannungsaufbau mit Showdown erwartet, wird enttäuscht. Über zweieinhalb Stunden mäandert der Film von einer skurrilen Episode zur nächsten, aufgeklärt ist am Ende nur wenig. Doch die Episoden sind herrlich detailverliebt, klug umgesetzt und gespickt mit Anspielungen auf Politik und Gesellschaft der USA am Ende der Flower-Power-Ära. So zeigt „Natürliche Mängel“ das Bild eines (auch ohne Drogen) paranoid geprägten Landes, in dem es die Hippie-Kultur zwar stellenweise bis ins Establishment schafft, das aber schon auf dem Sprung in den radikalen Marktliberalismus der 1980er ist.

Unsere Bewertung zu "Inherent Vice - Natürliche Mängel": 4 von 5 Sternen - empfehlenswert!

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