Kinder entwickeln meist nur milde oder sogar gar keine Symptome im Zusammenhang mit einer Infektion mit Sars-CoV-2. Foto: imago/Hans Lucas

Eine große Frage in der Corona-Pandemie ist die nach der Rolle von Kindern. Welche Ansteckungsgefahr geht von ihnen aus? Die Datenlage dazu ist bisher dünn und widersprüchlich, doch nun gibt es neue Studien. Auch in Baden-Württemberg wird dazu geforscht.

Berlin/Stuttgart - Sie entwickeln meist nur milde oder gar keine Symptome, wenn sie mit dem Coronavirus infiziert sind – doch welche Rolle Kinder bei der Verbreitung des Virus spielen, ist bislang weitgehend ungeklärt, die wenigen Daten dazu sind widersprüchlich. Nun legt eine Analyse von Forschern der Berliner Charité nahe, dass Kinder vermutlich genauso ansteckend sind wie Erwachsene.

Das Team um den Virologen Christian Drosten hat nun Labordaten von 3712 Covid-19-Patienten ausgewertet und jeweils die Menge der Sars-CoV-2-Viren bestimmt. Dabei fanden sie keine signifikanten Unterschiede zwischen Kindern und Erwachsenen in Bezug auf die Virenlast. Zu einer Infektion kommt es aber nur dann, wenn eine bestimmte Konzentration von Viren vorhanden ist und abgegeben wird. „Kinder könnten genauso ansteckend sein wie Erwachsene“, schreiben die Wissenschaftler in der vorab veröffentlichten und noch nicht von unabhängigen Experten geprüften Analyse. Das Fazit: „Wir müssen vor einer uneingeschränkten Wiedereröffnung von Schulen und Kindergärten in der aktuellen Situation warnen.“

Laut einer weiteren Studie sind Kinder weniger empfänglich

Doch viele Fragen bleiben offen. Etwa, inwieweit auch Kinder ohne Krankheitssymptome das Virus weitergeben können. Die Untersuchung der Frage sei schwierig, sagt Drosten in seinem NDR-Podcast: Es gibt vergleichsweise wenige Labordaten von Kindern, auch, weil hierzulande überwiegend bei Symptomen getestet wird – und Kinder seltener Symptome entwickeln. Für die Analyse an der Charité lagen die Proben von nur 49 Kindern unter zehn Jahren vor. Dazu kommt Drosten zufolge, dass Übertragungswege durch die derzeitigen Kontaktbeschränkungen derzeit anders verlaufen, Studien dazu also verzerrt wären.

Eine weitere Frage: Sind Kinder genauso empfänglich für das Virus wie Menschen anderen Alters? Virologe Drosten verweist dazu selbst auf eine neu publizierte Studie mit Daten aus Wuhan und Shanghai. Im renommierten Fachmagazin „Science“ schreiben die Autoren, Kinder seien ihren Ergebnissen zufolge deutlich weniger anfällig für eine Infektion mit dem neuartigen Coronavirus als Erwachsene. Das Risiko für Kinder, sich zu infizieren, sei der Kontaktuntersuchung zufolge nur ein Drittel so hoch, ordnet Drosten ein.

Tatsächlich entwickeln Kinder nach Analysen und Einschätzungen von Medizinern seltener schwere Krankheitssymptome im Zusammenhang mit einer Corona-Infektion. Wie häufig schwerere Verläufe bei Kinden in Deutschland sind, wird nicht systematisch erfasst. Ein Überblick der Deutschen Gesellschaft für pädiatrische Infektiologie zeigt, dass in den vergangenen Wochen deutschlandweit mindestens 121 mit dem Coronavirus infizierte Kinder im Krankenhaus behandelt wurden. Doch die Kliniken sind nicht dazu verpflichtet, solche Fälle zu melden.

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Dass Kinder seltener Symptome entwickeln, sagt aber noch nichts darüber aus, ob sie andere leicht anstecken oder nicht. Zuletzt hatten auch Untersuchungen aus Island und Frankreich Kindern eine geringere Rolle am Übertragungsgeschehen zugeschrieben. Doch an den Studien gab es auch Kritik, insbesondere, weil in Island etwa die Daten von freiwilligen Teilnehmern einbezogen wurden. „Die internationale Studienlage zum Verlauf von Covid-19-Infektionen bei Kindern und zum Übertragungsrisiko ist noch dünn. Für Deutschland liegen dazu noch keine belastbaren Daten vor“, sagt Georg Hoffmann, Geschäftsführender Direktor des Zentrums für Kinder- und Jugendmedizin am Universitätsklinikum Heidelberg.

Untersuchung an Universitätskliniken in Baden-Württemberg

Eine Untersuchung an den vier Universitätskinderkliniken in Baden-Württemberg soll nun für weitere Klarheit sorgen. Rund 2000 Kinder und je ein Elternteil nehmen daran teil, finanziert wird die Studie durch die Landesregierung. Die Federführung für die Studie liegt am Universitätsklinikum in Heidelberg, beteiligt sind auch die Universitätskinderkliniken in Freiburg, Tübingen und Ulm. Innerhalb von kurzer Zeit haben sich bereits genug Teilnehmende für die Studie gefunden, Ergebnisse könnten in etwa zwei Wochen vorliegen.

Getestet werden soll dabei zum einen, wie viele Kinder unter zehn Jahren und wie viele Eltern derzeit mit dem Coronavirus infiziert sind oder bereits Antikörper gebildet haben. Wie infektiös Kinder sind, ist insbesondere im Hinblick auf die Debatte um die Wiederöffnung von Kitas und Schulen relevant.

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„Wir müssen rasch klären, ob wir bei Kindern eine andere Ausgangslage haben als bei Erwachsenen“, hatte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) dazu gesagt. „Daraus können wir Rückschlüsse ziehen für wichtige Fragen, wie das Virus auf die Gesellschaft wirkt.“ Wie infektiös Kinder sind, ist insbesondere im Hinblick auf die Wiederöffnung von Kitas und Schulen relevant. Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne) hatte Kinder als die Hauptbetroffene bezeichnet, wenn es um persönliche Freiheiten gehe: „Deshalb ist es eminent wichtig, mehr darüber zu wissen, ob die Schließungen epidemiologisch gerechtfertigt sind.“

Hinweise darauf, ob Kinder seltener infiziert sind als Erwachsene

Durch die Untersuchung von Kindern und einem zugehörigen Elternteil erhoffen sich die Wissenschaftler Hinweise darauf, ob Kinder seltener infiziert sind oder waren als ihre Eltern. Voraussetzung für eine Teilnahme an der Studie war dabei, dass die Probanden noch nicht wissentlich infiziert waren. So sollen Rückschlüsse auf die Gesamtbevölkerung möglich werden. In den Kliniken werden den Teilnehmenden ein Nasen- oder Rachenabstrich und eine Blutprobe entnommen.

„Besonders interessant sind auch Kinder, die im Rahmen der Notbetreuung in der Kita, im Kindergarten oder in der Schule sind“, so Rupert Handgretinger, Ärztlicher Direktor an der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendmedizin Tübingen. Erwartet werden auch Erkenntnisse dazu, ob es je nach Alter Unterschiede in der Infektionsrate gibt, inwieweit sich Kinder und ihre Eltern gegenseitig mit dem Virus anstecken und inwieweit Wohnsituation und Beruf der Eltern hierbei eine Rolle spielen, heißt es von der Uniklinik Tübingen.