Eine typische Vertriebshalle von Faulhaber: Foto: privat

Mit der Digitalisierung wächst die Furcht, inmitten von Maschinen als Arbeitskraft überflüssig zu werden. Wie das Zusammenspiel von Mensch und Technik funktionieren kann, zeigt Faulhaber in Schönaich, die Fabrik des Jahres.

Schönaich - Für einen Moment herrscht Stille. Kein Surren, Stanzen, Föhnen der Maschinen, nur der Mensch ist zu hören – ein Arbeiter, wie er etwas durch die Halle ruft, das Klacken seiner Schuhe. In der hochautomatisierten Produktionshalle der Firma Faulhaber in Schönaich ist kurz der Strom ausgefallen, daher die Ruhe. „Das passiert vielleicht einmal im Jahr“, sagt ein Mitarbeiter. Binnen Sekunden haben die Geräte, Computer und Roboter abgeschaltet. Techniker, die in weißen Kitteln um sie herum stehen, warten auf Anweisungen. Noch ist unklar, ob das Stromnetz der Stadt betroffen ist oder ein Kabel im Firmensystem.

Die Furcht, dass der Mensch durch die Digitalisierung als Arbeitskraft überflüssig wird, zerstreut sich wie von selbst, wenn einmal der Strom ausfällt. „Die Angst vor der Zukunft entsteht aus dem Nichtwissen“, sagt Thomas Bertolini. Er ist Geschäftsführer des Motorenproduzenten Faulhaber und glaubt, dass Schlagwörter wie Industrie 4.0 und smarte Fabrik benutzt werden, ohne dass man weiß, was sich dahinter verbirgt. Bei einem Rundgang durch die Produktionshalle in Schönaich wird vor allem eines deutlich: nicht die Abhängigkeit, sondern die immer größer werdende Symbiose von Mensch und Maschine.

Dort sieht es aus, wie in einem Labor. Von den Decken fällt grelles Licht. Große Glaskästen stehen aufgereiht, darin Maschinen mit kurzen Fließbändern, Greifarmen und Sensoren, die die Kamerabilder an angehängte Bildschirm transportieren. Daneben sitzen Menschen in weißen Kitteln und schauen mal in Mikroskope, mal tippen sie auf Tastaturen.

Früher Henry Ford – heute Flexibilität

Wie zahlreiche Firmen im Landkreis Böblingen, gehört Faulhaber in seiner Nische zur Weltspitze. Die Firma mit fast 2000 Mitarbeitern und über 30 Standorten weltweit, darunter in den USA und in Rumänien, verdient ihr Geld mit Kleinmotoren – Antriebe für Spulen, Weltraumteleskope, Insulinpumpen. Anfang des Jahres kürte die Unternehmensberatung A. T. Kearney Faulhaber zur „Fabrik des Jahres“ im Bereich der Kleinserienfertigung. Die Fähigkeit, passgenaue Teile für individuelle Anforderungen zu produzieren, beschreibt in gewissem Sinne den Wandel in den Fabriken präziser als Schlagwörter wie Automatisierung und Künstliche Intelligenz.

Seit den 50er Jahren folgen viele Unternehmen in ihren Produktionsorten dem Leitgedanken, den einst der Autobauer Henry Ford (1863–1947) zur Serienreife brachte: Hochspezialisierte Maschinen fertigen in hohem Takt immer wieder identische Produkte. Je mehr Teile sie mit einer neuen Fertigungsstraße herstellen und verkaufen, desto schneller rechnet sich die Investition. Doch mithilfe von Technologien wie Sensoren und moderner Robotik können viele Anlagen heute deutlich flexibler produzieren. Statt das Produkt von der Stange, verlangen Kunden zum selben Preis und innerhalb weniger Tage ihre individuelle Lösung, sozusagen ihren Maßanzug.

Konkret verhält es sich bei Faulhaber so: Wie über eine Artikelseite beim Online-Versandhändler Amazon bestellt der Kunde einen kompletten Antrieb. Das Unternehmen fertigt daraufhin das passende Getriebe in seinem Werk in der Schweiz, die Elektronik in den USA und weitere Teile an anderen Standorten. In Schönaich werden die Teile montiert und ausgeliefert. Innerhalb von drei Wochen sind die Päckchen auf dem Weg. „Amazonisierung der Welt“, nennt es die Geschäftsführung. „Es gewinnt der, der die passenden Produkte am schnellsten liefert“, beschreibt es Bertolini.

Firmen holen Produktion zurück

In der Fabrik in Schönaich sitzen zwei Frauen und schauen durch eine riesige Lupe, damit sie die Details besser erkennen: Flink wickeln sie Kupferdrähte an Lamellen, damit Maschinen diese anlöten können, der Blick kommt bei dieser Geschwindigkeit kaum mit – es wirkt, als werde eine Filmszene vorgespult. Filigrane Kleinstarbeit von Milliarden von möglichen Windungen und Wellenlängen – Fähigkeiten, die der Mensch dem Roboter voraushat und die durch keine Automatisierung ersetzt werden kann.

Aber wie lange noch? Wird ein Großteil der Berufe verschwinden? Werden künftig nur noch Programmierer einen Job bekommen? Das Schreckgespenst einer arbeitslosen Zukunftsgesellschaft bestätigt sich in der Realität nur selten. „Die Fähigkeiten des Menschen werden immer wichtiger“, sagt Bertolini. Wenn sich Produkte in immer kürzeren Abständen verändern und Unternehmen darauf reagieren sollen, braucht es nach seiner Meinung vor allem Flexibilität.

Forscher wie Detlef Zühlke vom Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz sehen in der Kombination von Technologie und Know-how auch die Möglichkeit, dass Firmen Produktionen an hoch entwickelte Standorte zurückholen können. „Die Kunden fordern kurze Lieferzeiten, die bei einer Herstellung in Asien oder anderen fernen Regionen nicht möglich sind“, sagt er.

Und so müssen Unternehmen auch mal mit Stromausfällen leben. Dann gilt: Anlage ausmachen, anmachen, weitermachen.