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Paris - Wenn es um das allgemeine Wohlbefinden geht, tut sich der französische Staat gern als besonders fürsorglich hervor. So gibt es Warnhinweise für Schwangere auf Weinflaschen, und auf Hamburger-Reklametafeln in der Metro ist die Empfehlung zu finden, man möge doch täglich Obst zu sich nehmen und regelmäßig Sport treiben.

Bei den eigenen Kindern hingegen zeigen sich die Franzosen hingegen erstaunlicherweise weniger sensibel. Denn Eltern ist es immer noch erlaubt, ihre Sprösslinge zu schlagen. Das will die Regierungspartei UMP nun beenden: Sie hat einen Gesetzentwurf zum Verbot der Prügelstrafe eingebracht. Wortführerin der Kampagne ist die konservative Pariser Abgeordnete Edwige Antier. "Je häufiger man die Hand gegen ein Kind erhebt, desto aggressiver wird es", argumentiert die Kinderärztin und verweist darauf, dass Frankreich im europäischen Vergleich hinterherhinkt. 18 Länder in Europa haben die Prügelstrafe inzwischen abgeschafft, zuletzt Portugal und Spanien. Deutschland hat im Jahr 2000 verboten, Kinder "körperlich zu bestrafen oder seelisch zu verletzen". Der französische Gesetzgeber hingegen drückt verständnisvoll ein Auge zu, wenn gereizte Eltern dem kleinen Schreihals mal einen Klaps auf den Po geben oder dem frechen Teenager eine Ohrfeige verpassen. Bestraft werden lediglich Misshandlungen und Fälle schwerer körperlicher Gewalt. Doch Gegner der Prügelstrafe halten auch maßvolle Züchtigungen, etwa die Ohrfeige, keineswegs für harmlos. "Das Kind begreift schon früh, dass sich Konflikte mit Gewalt lösen lassen und dass der Stärkere das Recht hat, den Schwächeren zu schlagen", hält Madame Antier dagegen.

Der Politikerin geht es nicht darum, Eltern zu kriminalisieren oder ihnen die Polizei ins Haus zu schicken. Sie verlangt ein moderates Gesetz, das - ähnlich wie in Deutschland - in das Bürgerliche Gesetzbuch aufgenommen wird und nicht in das Strafgesetzbuch. "Vor der Eheschließung sollte der Gesetzesartikel den Eltern vorgelesen werden", fügte Edwige Antier im Interview mit der Zeitung "Le Parisien" hinzu. Sie ist sicher, dass das Gesetz allmählich einen Sinneswandel bewirkt. So wie in Schweden, das die Prügelstrafe schon vor 30 Jahren verboten hat. "Damals waren 70 Prozent der Eltern gegen ein Verbot, heute sind es nicht mehr als zehn."

Doch anscheinend ticken die Uhren in Frankreich anders. Trotz der vielen Revolutionen ist das Land immer noch eine ausgeprägte Ständegesellschaft. Nicht nur an Schulen und Universitäten, auch in den Betrieben und Behörden herrscht eine klare Trennung zwischen unten und oben. Selbst im Familienleben ist ein autoritärer Stil angesagt - was die Franzosen übrigens freimütig eingestehen.

In einer europaweiten Umfrage im Jahre 2006/2007 gaben 87 Prozent der französischen Eltern und 83 Prozent der Großeltern zu, schon einmal ihre Hand gegen Kinder erhoben zu haben. Über zwei Drittel waren zudem der Meinung, dass ihre Sprösslinge diese Strafe verdient hatten.

In einer aktuellen Umfrage der Online-Ausgabe der Zeitung "Figaro" fiel die Ablehnung eines gesetzlichen Prügelstrafen-Verbots sogar noch deutlicher aus: Nicht einmal zehn Prozent sprachen sich für ein Kinderschutz-Gesetz aus, 90,48 Prozent klickten "Non" an. Sogar Bernadette Chirac (76), die frühere Première Dame, schaltete sich in die Debatte ein. Sie findet Antiers Initiative "lächerlich" und erklärte: "Wenn ein Kind unausstehlich ist, schadet es ihm nicht, wenn es den Hintern voll bekommt." Allerdings dürften die Schläge "nicht zu lange" dauern und "nicht zu fest" sein.

Bezeichnend ist ein Vorfall vom Januar 2008 an einer Schule im nordfranzösischen Berlaimont, der die ganze Nation bewegte und zum Politikum wurde. Ein rabiater Elfjähriger hatte seinen Lehrer als "Arschloch" tituliert, worauf diesem buchstäblich die Hand ausrutschte. Dem Jungen wurde ein dreitägiges Schulverbot erteilt, und auch der Lehrer wurde bestraft - mit einem 24-stündigem Arrest. Ein Aufschrei der Empörung im ganzen Land war die Folge. Die Lehrergewerkschaft sammelte 15000 Unterschriften für ihren Kollegen, sogar Premierminister François Fillon verlangte mehr "Disziplin und Respekt" und sagte: "Ja, ich unterstütze diesen Lehrer."

Kein Wunder, dass die Reaktion auf Edwige Antiers Vorstoß sehr verhalten ausfällt. Das Echo in den Internetforen ist gespalten. Auch Xavier Bertrand, der UMP-Generalsekretär, sprach sich gegen ein Prügel-Verbot aus. Er lehne es rundweg ab, dass sich der Staat in das Familienleben einmischt. "Die Eigenverantwortlichkeit der Eltern ist für mich die Grundlage unserer Gesellschaft", sagte der Politiker.