Wie sinnvoll sind Impfungen gegen Grippe, Masern und Co.? Foto: dpa/Ralf Hirschberger

In Deutschland wird intensiv über das Für und Wider von Impfungen diskutiert – gerade auch in der Waldorf- und Anthroposophieszene. Der Geschäftsführer der anthroposophisch angehauchten Filderklinik in Bonlanden hat eine klare Linie.

Filderstadt-Bonlanden - Für die Mehrheit der Deutschen ist es ein Durchbruch. Dieser Tage hat sich das Mainzer Unternehmen Biontech mit einem Corona-Impfstoff hervorgetan. Doch tatsächlich wartet nicht jeder hoffnungsvoll auf die Spritzen. In Deutschland wird spätestens seit dem Inkrafttreten des Masernschutzgesetzes am 1. März intensiv über das Für und Wider von Immunisierungen diskutiert. Etliche Impfgegner nutzen Protestkundgebungen gegen die Corona-Maßnahmen, um ihre Meinung – teils mit drastischen Worten – öffentlich kundzutun.

Waldorfkinder sind seltener geimpft als andere

Mit ihrer Abneigung gegen eine Impfpflicht sind in der aktuellen Diskussion immer wieder die Waldorfszene und Anthroposophen aufgefallen. So legt ein Kreideschriftzug nah, dass an einer heftigen Protestaktion gegen die Maskenpflicht an einer Göppinger Waldorfschule Ende Oktober Mitglieder der Gruppierung „Eltern stehen auf“ beteiligt waren. Die spricht sich offen gegen die Impfpflicht aus. Die „Süddeutsche Zeitung“ zitiert eine Auswertung des Landesgesundheitsamtes Baden-Württemberg von 2019, wonach bei den Einschulungsuntersuchungen von 2014 bis 2017 rund 30 Prozent der untersuchten Waldorfkinder nicht geimpft waren, unter den übrigen nur gut fünf Prozent.

Auch die Gesellschaft Anthroposophischer Ärzte in Deutschland (GAÄD) nennt das Masernschutzgesetz in einer Stellungnahme von Ende Februar „verfassungswidrig“. Einzelne Eltern und Waldorfeinrichtungen dürften nicht an den Pranger gestellt oder bestraft werden. „Wir sind aber genauso wenig bereit, unsere Kinder in vorauseilendem Gehorsam unnötig viel und vor allem unnötig früh zu impfen“, teilt die GAÄD mit.

Bei Pflichtimpfungen kenne er kein Pardon

Nikolai Keller verfolgt solche Entwicklungen genau. Er ist der Geschäftsführer der Filderklinik in Bonlanden, eines Krankenhauses, das der Anthroposophie nahesteht. Doch er stellt klar: „Wir sind kein Alternativkrankenhaus.“ Vielmehr verstehe man sich als Akutkrankenhaus, das seinen schulmedizinischen Ansatz um die anthroposophische Medizin erweitere. Und bei Pflichtimpfungen kenne er kein Pardon. „Wir haben eine klare Haltung: Bei der Impfpflicht gibt es kein Rechts oder Links.“ Das Team in der Filderklinik arbeite auf der Basis von Gesetzen, betont der Jurist, „da gibt es keinen zivilen Ungehorsam“. Auch er beobachte mitunter „eine gewisse Radikalisierung“ unter Anthroposophen. „Das ist ärgerlich, das bringt eine ganze Szene in Misskredit“, sagt Keller.

Viele Patienten haben Fragen. Auch in der Filderklinik sind die von der Ständigen Impfkommission empfohlenen Impfungen immer wieder Thema, bestätigt Nikolai Keller. Die Ärzte informierten dabei über positive Effekte, ebenso über mögliche Nebenwirkungen, „damit die Eltern eine eigene verantwortungsvolle Entscheidung treffen können“. Dabei werde weder versucht, auf Patienten einzuwirken, „wir halten uns da raus“, noch Impfkritikern nach dem Mund zu reden. „Wir sind nicht dafür da, Leute glücklich zu machen, sondern um unseren Job zu machen“, stellt Nikolai Keller klar. „Wir haben keine Mission.“