Diese Computerdarstellung zeigt, wie die Wohnraumnot in den Städten zumindest etwas eingedämmt werden könnte. Foto: Aldi Nord

In Städten wie Stuttgart fehlt Wohnraum, die Preise explodieren. Experten schlagen nun vor, verstärkt Parkhäuser und Bürogebäude aufzustocken. Selbst über den Filialen von Aldi, Lidl & Co. ließen sich jede Menge Appartments bauen. Mehr als 1,2 Millionen Wohnungen könnten so entstehen.

Berlin - In deutschen Ballungsräumen wie Stuttgart, Frankfurt oder Berlin wird es jeden Tag ein wenig enger. Die Einwohnerzahlen steigen, es fehlt an Wohnungen, die Preise explodieren. Zwar wird an allen Ecken und Enden gebaut, doch reicht das bei Weitem nicht, um den steigenden Bedarf zu decken. Ein Hauptproblem: Es gibt nicht mehr genug Baugrund – erst recht nicht in den begehrten Innenstadtlagen. Das Problem ließe sich nach Einschätzung von Fachleuten auf eine ziemlich elegante Art und Weise mindern: und zwar durch die verstärkte Aufstockung und Umnutzung von sogenannten Nicht-Wohngebäuden. Das sind beispielsweise einstöckige Filialen von Discountern wie Aldi oder Lidl, Büro- und Verwaltungsgebäude oder sogar Parkhäuser. Oft liegen solche Immobilien mitten in den Städten. Es geht häufig um schlichte, in die Jahre gekommene Zweckbauten. Ein Umbau böte also auch städtebauliche Chancen.

Mehr als 1,2 Millionen Wohnungen könnten bundesweit durch die Transformation solcher Nicht-Wohngebäude entstehen, heißt es in einer aktuellen Studie, die am Mittwoch in Berlin vorgestellt wurde. Sie trägt den Titel „Wohnraumpotenziale in urbanen Lagen“. Verantwortlich zeichnen die Technische Universität Darmstadt sowie das auf städtebauliche Fragen spezialisierte Pestel-Institut aus Hannover. Auftraggeber war ein Bündnis von Verbänden aus der Immobilien- und Bauwirtschaft. Es gehe darum, innenstädtische Kernlagen zu verfeinern, sagte Studienleiter Karsten Tichelmann von der TU Darmstadt. Vor allem geht es aber darum, Druck von den Immobilienmärkten zu nehmen: Bundesweit fehlten derzeit rund eine Million Wohnungen. Im gesamten vergangenen Jahr seien aber nur rund 300 000 neue Einheiten gebaut worden, sagte der Chef des Pestel-Instituts, Matthias Günther.

Sehen Sie außerdem im Video: Wohnungsnot in Stuttgart – was sind die Ursachen? Wie könnte das Problem gelöst werden?

Kita statt Autos

Für ihre Studie werteten die Forscher etwa Luftaufnahmen deutscher Städte aus, markierten einschlägige Liegenschaften und schauten sich die Grundstücke und Gebäude anschließend näher an. Allein durch die Aufstockung von Innenstadt-Parkhäusern könnten den Berechnungen zufolge mindestens 20 000 zusätzliche Wohneinheiten entstehen. Die Flächen eigneten sich aber auch sehr gut für Einrichtungen der sozialen Infrastruktur, etwa für Kitas. Die Dachaufstockung von genutzten Bürokomplexen und Verwaltungsgebäuden könne im gesamten Land weitere 560 000 Wohnungen bringen. Mit dem Umbau leer stehender Büro- und Verwaltungsgebäude ließen sich weitere 350 000 Einheiten gewinnen.

Ein enormes Potenzial bieten aber auch die Immobilien der großen Handelsketten, die oft noch von ausgedehnten, aber mäßig ausgelasteten Kundenparkplätzen umgeben sind. Die Forscher beziffern hier das Potenzial für den Wohnungsbau in den Innenstädten auf 400 000 Einheiten. Ein bloßes Aufstocken von standardisierten Discounter-Filialen ist aber in der Regel nicht möglich. Hier müssen Neubauten her, die beides möglich machen – Nahversorgung und Wohnen. Lebensmittelketten wie Aldi, Lidl oder Rewe machen sich seit einiger Zeit sehr intensiv Gedanken darüber, ob ihre Flächen in den Städten noch einem anderen Zweck dienen können als dem bloßen Einzelhandel. In allen Teilen der Republik laufen bereits konkrete Projekte dazu, auch im Raum Stuttgart.

Kommunen machen Druck

Ganz freiwillig agieren die Händler dabei oft nicht. „Häufig wird eine nachhaltigere Flächennutzung von den Kommunen gewünscht“, sagte die Immobilien-Expertin des Einzelhandelsinstituts (EHI), Kristina Pors, im Gespräch mit unserer Redaktion. „Man möchte nicht jede Fläche zubetonieren.“ Das Kerngeschäft der Handelsketten sei immer noch der Handel mit Lebensmitteln und nicht der Bau und die Vermietung von Wohnungen. Leere Fläche in den Städten geben die Kommunen angesichts des Wohnungsdrucks nur ungern für den Bau neuer Supermärkte und Discounter frei. An bestehenden Standorten wollen die Ketten oft ihre Verkaufsfläche vergrößern, weil die Sortimente umfangreicher geworden sind und sich die Kunden einfach mehr Platz in den Märkten wünschen. Da liegt es nahe, sich auf Gegengeschäfte mit den Kommunen einzulassen: Die gewünschte Expansion wird genehmigt – aber nur, wenn zugleich neue Wohnungen entstehen. „Die Mischnutzung ist eher Mittel zum Zweck“, sagte EHI-Expertin Pors.

Die Studien-Autoren der TU Darmstadt und des Pestel-Instituts betonten am Mittwoch, dass sich durch die Aufstockung und Umnutzung bestehender Gebäude relativ preiswert neuer Wohnraum schaffen ließe. Das Bauland ist häufig schon bezahlt, außerdem sind die Grundstücke bereits erschlossen. Das dämpfe dann auch die Mieten in den Wohnungen, die neu entstehen. Das Verbändebündnis als Auftraggeber der Studie forderte die Politik auf, entsprechende Bauprojekte mit finanziellen Anreizen attraktiver zu machen: Investoren sollten bis zu fünf Prozent der Baukosten pro Jahr steuerlich geltend machen können. Für kommunale und genossenschaftliche Bauträger solle es eine Investitionszulage von 15 Prozent geben.