Am Landgericht Stuttgart muss ein Betrugsfall teilweise neu aufgerollt werden, weil das erste Urteil vom Bundesgerichtshof teilweise moniert wurde. Foto: dpa/Marijan Murat

Der Bundesgerichtshof hat ein Urteil des Stuttgarter Landgerichts teilweise moniert. Nun wird der Fall einer 56-Jährigen, die im Kreis Esslingen gemeinsam mit Komplizen Krankenkassen und -versicherungen im großen Stil betrogen hat, in Teilen neu verhandelt.

Stuttgart/Kreis Esslingen - Die 56 Jahre alte Hauptangeklagte hat jahrelang Krankenkassen und -versicherungen im großen Stil betrogen. Zusammen mit mehreren im Kreis Esslingen lebenden Verwandten, Bekannten und Freunden fälschte sie über Jahre Atteste und Befundberichte, um unberechtigt Pflegeleistungen kassieren zu können. Ihre Komplizen legten zudem ein beachtliches schauspielerisches Talent an den Tag, wenn es darum ging, externen Gutachtern vorzugaukeln, sie seien schwer krank und gebrechlich.

Für die Taten waren die Angeklagten bereits im vergangenen Jahr vor der 11. Großen Strafkammer des Landgerichts Stuttgart verurteilt worden. Auch die 56-Jährige, doch sie legte gegen das Urteil – teils erfolgreich – Revision beim Bundesgerichtshof (BGH) ein, weshalb der Fall nun vor einer anderen Kammer des Landgerichts in kleinen einzelnen Punkten neu verhandelt werden muss. Dass sich die Frau mehr als 20 Fälle des gemeinschaftlich begangenen Betrugs hat zuschulden kommen lassen, ist unbestritten. Dafür war sie im vergangenen April zu einer Gefängnisstrafe von dreieinhalb Jahren verurteilt worden. Ihr 67 Jahre alter Mitangeklagter, dem zwei Fälle zur Last gelegt werden, war mit einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und vier Monaten davongekommen. Nun könnten sich die Höhen der Strafen bei beiden reduzieren, denn der BGH ist der Ansicht, es könnten bei zwei Einzeltaten zu hohe Schadensummen angesetzt und die Einzelstrafen dementsprechend zu hoch ausgesprochen worden sein. Insgesamt könnten sich dadurch auch die Gesamtstrafen der beiden Angeklagten verringern.

Der Schaden beläuft sich auf mehr als 300 000 Euro

Insgesamt ändert das aber nichts daran, dass die 56-jährige Pflegesachverständige und ihre Komplizen zwischen 2013 und 2018 mehr als 300 000 Euro an Pflegeleistungen und Versicherungssummen abkassiert haben – für Erkrankungen und Erwerbsunfähigkeiten, die tatsächlich gar nicht existierten. Dazu fälschte die Angeklagte im Zusammenspiel mit ihren Helfern ärztliche Atteste und Befunde und gab in Formularen und Anträgen frei erfundene Krankheiten, Ausfallerscheinungen und Behinderungen der vermeintlichen Patienten an.

Lediglich auf dem Papier litten diese wahlweise an Blasen- und Darminkontinenz, an Bewusstseinsstörungen, Depressionen, chronischer Bronchitis, Lähmungserscheinungen, Osteoporose oder irreparablen Bandscheibenvorfällen. Je nach der von den Betrügern angestrebten Pflegestufe konnten sie angeblich nicht selbst aufstehen und sich fortbewegen, sich nicht eigenständig ankleiden, nur mundgerecht zubereitete Speisen zu sich nehmen, nicht selbstständig gehen, sich nicht waschen oder sich noch nicht einmal an ihre Namen oder die eigene Adresse erinnern.

Diverse Gutachter der Versicherungen und Krankenkassen vertrauten laut dem ersten Urteil „auf die Richtigkeit der Angaben“. Wenn sie selbst vorbeikamen, um sich von der Bedürftigkeit und Hilflosigkeit der Patienten zu überzeugen, wurde ihnen dies offenbar glaubhaft vorgespielt. Tatsächlich aber, so stellten die Ermittler und das Gericht fest, litten die Menschen „an keinen pflegerelevanten Erkrankungen“. Letztlich war es eine anonyme Anzeige gewesen, die den groß angelegten Betrug ans Licht gebracht hatte.

Zwei Einzelstrafen sind noch nicht rechtskräftig

Mit ihm muss sich nun die 20. Große Strafkammer noch einmal befassen. Der BGH hatte die Ansetzung von zwei Einzelstrafen bei der 56-Jährigen und bei dem 67 Jahre alten Angeklagten moniert, womit diese noch nicht rechtskräftig sind.

Damit geht der Prozess für die Angeklagte, die seit dem 11. Juli 2018 in Untersuchungshaft sitzt, nun in die nächste Runde. Die Kammer hat drei Verhandlungstage angesetzt, um die vom BGH bemängelten Einzeltaten „zu beleuchten und das richtige Maß zu finden“, wie der Vorsitzende Richter, Hans-Jürgen Wenzler, zum Auftakt erklärte.