Verspürt eine teuflische Lust daran, Menschen zu ärgern und zu quälen: Benoît Poelvoorde als degenerierter Gott in „Das brandneue Testament“. Foto: NFP/Filmwelt

Gott ist ein Widerling – und seine Tochte rmöchte ihn stoppen in Jaco van Dormaels wunderbar peotischem Film „Das brandneue Testament“, der für den Europäischen Filmpreis nominiert ist.

Stuttgart - Die Kippe hängt im Mundwinkel, das Whiskyglas ruht neben der Tastatur: Perfide lachend tippt ein versiffter Graukopf (Benoît Poelvoorde) in kariertem Bademantel Sätze wie: „Gebot 2218: In der Warteschlange, in der man selbst nicht steht, geht’s immer schneller voran.“ Oder „Gebot 2129: Immer wenn ein Mensch in die Badewanne steigt, beginnt das Telefon zu läuten.“ Kennen Sie? Kein Wunder: Der Typ am Computer ist Gott.

„Gott existiert. Er lebt in Brüssel“, erklärt eine Mädchenstimme am Anfang von Jaco van Dormaels kohlenschwarzer Komödie „Das brandneue Testament“. Die Sprechende ist Gottes Tochter Éa (Pili Groyne), also die Schwester Jesu. Weder liebevoll noch gütig, greift der Herr auch mal zum Gürtel und teilt blindwütig aus, wenn der Nachwuchs nicht spurt. Überschüssigen Frust lässt er an der Menschheit aus. Seine Frau (Yolande Moreau) erträgt die Launen des Familienoberhaupts still. Der messianische Sohn ist längst ausgezogen. Eines Tages hat Éa genug vom Sadismus ihres Erzeugers und beschließt, die Menschen vor Gott zu retten.

Man braucht nicht lange darüber zu diskutieren: Wer sein Leben immer noch nach wundersamen Geschichten eines alten Buches ausrichtet, in dem – echt wahr! – Tote wiederauferstehen, der könnte Schwierigkeiten mit diesem Film haben. Wenn man den Status quo der Welt betrachtet, trifft die Theorie des brandneuen Testaments jedoch eher zu als jene der Vorgängerversionen: Der Schöpfer hat wenig für Harmonie übrig, quält hingegen mit reichlich Lust und schert sich nicht um menschliche Empfindungen. Das würde so manches erklären.

Was ändert sich für einen Menschen, der sein Todesdatum kennt?

Poelvoorde spielt den Allmächtigen Drecksack brillant: Selbstherrlich und bar jeglicher Frustrationstoleranz jagt er seiner zu den Menschen aufgebrochenen Tochter nach. Als jähzorniger Misanthrop par excellence flucht und beleidigt er wild umher, lästert gar über den ans Kreuz geschlagenen Sohn. Die witzigsten Szenen gehören zweifellos ihm.

Die Nominierung für den Europäischen Filmpreis 2015 ist absolut gerechtfertigt. In der Sparte „Beste Komödie“ tritt er unter anderem gegen Roy Anderssons „Eine Taube sitzt auf einem Zweig und denkt über das Leben nach“ an. Man darf sich von dieser Blasphemie allererster Güte jedoch keine Zwerchfellüberanstrengung erwarten.

„Das brandneue Testament“ kommt auch passagenweise ohne Gag aus. Wenn Pili Groyne als rebellierende Éa durch die Ecken Brüssels schlendert, bespricht man eine essenzielle philosophische Überlegung: Was ändert sich für einen Menschen, der sein Todesdatum kennt? Éa verrät es den Erdlingen auf der Suche nach Aposteln.

Dieser Film macht Lust aufs Leben

Van Dormael findet ebenso originelle wie grandios poetische Bilder. Die Gottestochter trifft auf Aurélie (Laura Verlinden) und schenkt ihr einen Traum: Die attraktive Frau, die als Mädchen einen Arm verlor, sitzt am Küchentisch, während darauf die amputierte Hand ästhetisch, gleich einer Eiskunstläuferin gleitet. Der von klein auf sexbesessene Marc (Serge Larivière) nimmt gegenwärtige Damen textilfrei wahr. Mancher lenkt einen Vogelschwarm. Und ein You-Tube-Star scheitert am mehrfach versuchten Selbstmord – er hat ja noch garantierte 60 Jahre zu leben.

Das alles arrangiert van Dormael so unaufgeregt, dass es beiläufig, nachgerade selbstverständlich wirkt. Ein wunderbar zusammengestellter Soundtrack aus Klassik und Pop komplettiert das kinematografische Erlebnis. Der etwas maue Spannungsbogen lässt sich da locker verkraften: Selten wirkte Gott so harmlos. Zudem streift Éa ziemlich planlos umher und weiß selbst nicht so recht, wie sie ihren Vater final entmachten könnte.

Für „Das brandneue Testament“ kann man die Kirche aber getrost ausfallen lassen. Dieser Film macht Lust aufs Leben. Man sollte ihn eigentlich am frühen Morgen begutachten, um mit dem neu gewonnenen Respekt für das Dasein in den Tag zu starten. Und für Empörte gilt: Hier kann Otto Normalchrist zeigen, wie er im Gegensatz zu den Attentätern von Paris mit einer Provokation der eigenen religiösen Gefühle – was auch immer das sein mag – umzugehen vermag.

Wenn es einen Gott gäbe: Er könnte sicher drüber lachen.