Hunderte Iraner haben in Teheran an einer Trauerfeier für die Opfer der Flugzeugkatastrophe teilgenommen. Foto: dpa/Ahmad Halabisaz

Teheran gibt den Abschuss eines ukrainischen Flugzeugs zu. Hinter den Kulissen tobt ein Machtkampf zwischen den Hardlinern der Revolutionären Garden und dem gemäßigten Präsidenten Ruhani.

Teheran - Die Familien der Opfer können es nicht fassen. Rund um den Globus herrscht Empörung und ungläubiges Kopfschütteln über das Verhalten des Iran nach der Flugzeugkatastrophe von Teheran. Im Land selbst gingen am Wochenende in zahlreichen Städten die Menschen auf die Straße, aufgebracht über die dreisten Vertuschungsversuche und das späte Geständnis der eigenen Führung, dass die ukrainische Boeing 737-800 durch eine iranische Rakete getroffen worden war. Drei Tage lang hatten die Verantwortlichen alles abgestritten und in großer Hast versucht, die Absturzstelle von den Spuren des Geschosses zu reinigen. Am Samstagfrüh kam dann die Wende – ausgelöst durch den wachsenden internationalen Druck.

Der Wind hat sich gedreht

Präsident Hassan Ruhani und Außenminister Mohammed Dschawad Sarif erklärten, die Revolutionären Garden hätten die Passagiermaschine kurz nach dem Start irrtümlich angegriffen. „Das ist eine große Tragödie und ein unverzeihlicher Fehler“, twitterte Ruhani. Sarif entschuldigte sich bei den Angehörigen, wies aber auch dem „Abenteurertum der USA“ in der Region eine Mitschuld an dem Desaster zu. Der Oberste Revolutionsführer Ali Chamenei forderte die Streitkräfte auf, sich dem eigenen Versagen zu stellen.

Noch vor einer Woche hatte das Regime nach der gezielten Tötung seines Top-Generals Ghassem Soleimani durch eine US-Drohne den großen nationalen Schulterschluss mit der eigenen Bevölkerung inszeniert. Hunderttausende demonstrierten in Teheran, Mashad und Kerman. Sie skandierten „Tod den USA“. An diesem Wochenende jedoch hatte sich der Wind bereits wieder gedreht. „Tod den Lügnern“, „Ihr seid Mörder“, riefen die überwiegend jungen Demonstranten, rissen Soleimani-Poster herunter und forderten den Rücktritt von Revolutionsführer Ali Chamenei. „Hau ab, Diktator“, rief die Menge, bis Sicherheitskräfte sie mit Tränengas auseinandertrieben.

Botschafter festgenommen

Wie nervös die Lage im Iran ist, zeigte auch die vorübergehende Festnahme des britischen Botschafters Rob Macaire, der an einer Trauerfeier für die Opfer teilnehmen wollte und Zeuge der Proteste wurde. Nicht nur auf den Straßen, auch in den sozialen Medien machte die Bevölkerung ihrem Unmut Luft – über den katastrophalen Abschuss, die Lügen der Verantwortlichen und das offenkundige Ausmaß an Inkompetenz und Desorganisation bei den Streitkräften.

„Dieser Morgen war nicht angenehm, aber er brachte die Wahrheit“. So reagierte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj auf die Neuigkeiten aus Teheran. Er erwarte jetzt ein volles Schuldbekenntnis des Iran, und eine Untersuchung, die „rasch und ohne Behinderung erfolgt“. Auch Kanadas Premier Justin Trudeau, dessen Nation 57 Staatsbürger bei dem Unglück verlor, forderte vom Iran „volle Klarheit“. Bundeskanzlerin Angela Merkel und der britische Premier Boris Johnson sprachen von „einem wichtigen ersten Schritt“.

Zehn Sekunden Zeit

Das dramatische Hin und Her im Teheran signalisiert einen erbitterten Machtkampf hinter den Kulissen zwischen den Revolutionären Garden und der moderaten Regierung. Präsident Ruhani behielt am Ende die Oberhand und durchkreuzte die Absicht der Hardliner, den Abschuss zu vertuschen. Der Luftwaffenchef der Revolutionswächter, Amirali Hajizadeh, trat im Staatsfernsehen auf und erklärte, er übernehme die volle Verantwortung. Der Raketenschütze habe den Passagierjet für eine amerikanische Cruise Missile gehalten. Der Versuch, seinen Vorgesetzten zu erreichen, scheiterte, weil die Telefonleitung nicht funktioniert habe. So sei der Mann auf sich allein gestellt gewesen. Zehn Sekunden Zeit seien ihm noch geblieben, dann traf er die fatale Fehlentscheidung.

Wie verheerend die versuchte Irreführung der Weltöffentlichkeit für das Ansehen des Iran im In- und Ausland sein wird, hängt nun entscheidend davon ab, ob Teheran sich fortan transparent verhält. Hassan Ruhani weiß, dass das dreiste Taktieren bisher vor allem den Revolutionären Garden schadet, die sich wie ein Staat im Staate aufführen, enorme Privilegien besitzen und Regimegegner brutal unterdrücken. Der Präsident galt als eingeschworener Gegner des getöteten Generals Soleimani. Mehrfach kritisierte er die übermächtige Rolle, die die Revolutionswächter im iranischen Staatssystem spielen. Am Wochenende rief er den ukrainischen Präsidenten Selenskyj an, sagte ihm „die volle Zusammenarbeit zu, einschließlich der Entschädigung für die Angehörigen“. Keiner der Verantwortlichen werde ungestraft davonkommen, versprach er. Ruhani scheint entschlossen, den Absturz zu nutzen, um die Macht der Hardliner endlich zu begrenzen.