Er sei nicht religiös, sagt Daniel Cohn-Bendit, trotzdem sehe alle Welt ihn als Juden. Foto: NDR/Siècle Productions

Im Dokumentarfilm „Wir sind alle deutsche Juden“ in der ARD geht Daniel Cohn-Bendit auf Spurensuche: Ist er Jude, und wenn ja, was für einer?

Stuttgart - Knallharter Extremismus, vorgetragen mit Charme, Verschmitztheit, Neckerei – das erlebt man nicht alle Tage. Schließlich sind Humor und Fanatismus Gegensätze. Daniel Cohn-Bendit aber bekommt dieses Wunder geboten beziehungsweise findet sich in der Rolle des vergnügten, vielleicht auch ein wenig verlegenen Adressaten. Der deutsch-französische Politiker und Publizist bekommt im Dokumentarfilm „Wir sind alle deutsche Juden“ von der israelischen Journalistin Shalhevet Hasdiel den Kopf gewaschen.

Hasdiel, Chefredakteurin eines Lifestyle-Magazins für religiöse Jüdinnen, gibt sich auf fast liebevolle Weise empört über Cohn-Bendits Ehe mit einer Nichtjüdin. Schließlich vererbt sich in ihrem Weltbild das Jüdischsein nur über die Mütter. Und so bekommt der Mann, der 1968 als deutscher Student in Paris eine wichtige Rolle bei den Studentenunruhen spielte, schwere Vorwürfe zu hören. „Du hast dein Judentum abgeschnitten. Dein Sohn wird nicht als Jude anerkannt“, wird er geschulmeistert. „Mit jeder Mischehe wie dieser sinken die Chancen für das jüdische Volk zu überleben. Über Tausende Jahre hinweg sind wir Juden durch Unglück und Leid gegangen. Und dann kommst du und machst einfach, was du willst. So geht das nicht, mein Herr.“ Die Aussage ist hart, Mimik und Körpersprache sind ein Flirt.

Die Fallen der Sprache

Der heute 76-Jährige wird von dieser Konfrontation nicht überrascht. Er hat sie gesucht. Der Film „Wir sind alle deutsche Juden“, den Cohn-Bendits Stiefsohn Niko Apel inszeniert hat, begleitet ihn auf einer Erkenntnissuche. Daniel Cohn-Bendit ist das Kind deutscher Juden, die vor den Nazis nach Frankreich geflohen waren. Seine Beziehung zum Judentum fasst er so zusammen: „Ich praktiziere nicht, ich gehe nicht in die Synagoge. Aber alle Welt sieht mich als Juden. Ich fühle mich verbunden. Ich kann mich der Geschichte nicht entziehen.“

Dieser Mix aus äußerem Festgelegtwerden und inneren Bindungen ist kein jüdisches Sonderproblem. Es betrifft die gesamte deutsche Gesellschaft, denn schon das Sprechen über Geschichte und Gegenwart stellt uns Fallen. Man kann deutsche Juden nicht einfach Deutsche nennen, weil das Geschichte und aktuelle Bedrohtheit leugnen würde. Betont man aber das Jüdischsein, macht man sie ein wenig auch zu nicht ganz Zugehörigen und rückt dem antisemitischen Narrativ der Fremdheit näher.

Stets Thema: Juden und Palästinenser

Daniel Cohn-Bendit kennt diese Spannung schon lange. Frankreichs Rechte hat 1968 antisemitische Regungen gegen ihn mobilisiert, der Ruf „Wir sind alle deutsche Juden“ war der Solidaritätschoral aufmüpfiger Studenten. Im Alter ist Cohn-Bendit nun frei von politischem Taktieren und sucht ganz offen, ohne Belehrungszwänge, nach dem Wesen dieses ungefragt verliehenen, nicht ablegbaren Judentums. Er bleibt trotzdem ein politischer Kopf, begreift, dass jedes Reden über Judentum nolens volens mit dem Reden über Israel und die Palästinenser verknüpft ist, weshalb er gerade in Israel und in den besetzten Gebieten Gegenwart und Zukunft des Judentums zu begreifen sucht.

Dies ist kein Film der Antworten, sondern einer interessanter Fragen und spannender Gespräche. Und einer der Utopie, dass Gespräche möglich sind – sogar über Gräben hinweg mit Witz und Zuneigung, so wie im Dialog mit Shalhevet Hasdiel.

Wir sind alle deutsche Juden. ARD, Montag, 23.35 Uhr. Bereits in der Mediathek.