Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner wirft den anderen Parteien vor, die Steuerzahler auszuplündern. Foto: dpa

Der Staat profitiert ganz erheblich von heimlichen Steuererhöhungen. Nach der Untersuchung des Ifo-Instituts in München hat das Aufkommen aus der kalten Progression seit 2011 rund 70 Milliarden Euro betragen. Dies sei ein Fehler, sagt Ifo-Präsident Clemens Fuest.

Berlin - Der Staat profitiert stärker von heimlichen Steuererhöhungen, als dies in der Öffentlichkeit bekannt ist. Das ist die Kernaussage eines neuen Gutachtens des Münchner Ifo-Instituts, das die Forscher im Auftrag der FDP erstellt haben. In der Untersuchung wird der Effekt der kalten Progressionuntersucht.

Dabei handelt es sich um Mehrbelastungen der Steuerzahler, die durch das Zusammenspiel von progressivem Steuertarif, steigenden Einkommen und der Inflationsrate entstehen. Selbst wenn die Einkommen nur so stark steigen wie die Teuerungsrate, erhält der Fiskus wegen des progressiven Steuertarifs höhere Einnahmen – dabei hat sich aus Sicht eines Beschäftigten das reale Einkommen nicht verändert. Vor allem Steuerzahlern mit kleinen und mittleren Einkommen müssten Belastungen hinnehmen, sagte Ifo-Präsident Clemens Fuest. Die automatischen Steuererhöhungen führten zu erheblichen Verschiebungen der Lasten.

Der Staat wird immer reicher

Die Studie beziffert die heimlichen Steuererhöhungen zwischen 2011 und 2016 auf 70 Milliarden Euro. Das Ifo-Institut liefert damit die Vorlage für eine alte Forderung der FDP: „Der Staat wird immer reicher“, sagte Christian Dürr, Sprecher der FDP-Fraktionsvorsitzenden in den Landtagen. Festmachen lasse sich dies auch am Höchststeuersatz, der zurzeit in der Einkommensteuer bei 42 Prozent (ohne Reichenzuschlag) liegt. Während in den sechziger Jahren der Spitzensteuersatz noch beim 18-fachen des durchschnittlichen Einkommens einsetzte, kommt er heute schon beim 1,4-fachen eines Durchschnittsverdiensts zum Tragen. Die Liberalen verlangen einen „Steuertarif auf Rädern“. Künftig sollen beispielsweise Steuerfreibeträge und die Tarifeckwerte an die Teuerungsrate und das Wachstum der Einkommen angepasst werden.

Dass Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) erstmals für 2014 einen Ausgleich für die kalte Progression geschaffen hat, hält Ifo-Präsident Fuest für unzureichend. Die große Koalition verständigte sich darauf, die inflationsbedingten Steuererhöhungen an die Steuerzahler zurückzugeben. Die Kompensation wurde von den Parlamenten zunächst für zwei Jahre beschlossen und soll auch künftig erfolgen. Dies Entlastung sei viel zu gering, so Fuest. Nach Ansicht des Wissenschaftlers sollte die Politik nicht nur die Mehreinnahmen durch die Teuerungsrate ausgeglichen, sondern auch die zusätzlichen Staatseinnahmen durch das Wachstum der Einkommen. Bei steigenden Einkommen werde ein immer größerer Teil vom Staat abgeschöpft. Fuest nannte es nicht einleuchtend, dass der Anteil des Staatssektors mit dem Anstieg der Wirtschaftsleistung zunimmt. Diese Mehrbelastungen der Steuerzahler gingen in der öffentlichen Debatte unter. Das Parlament solle, wenn es dies für notwendig halte, über Steuererhöhungen entscheiden, so Fuest. Die heimlichen Anhebungen seien aber ein Fehler.

Auch Geringverdiener werden belastet

Welche finanziellen Auswirkungen diese haben, machte er anhand einer Prognose deutlich: Von 2017 bis 2030 summierten sich die Effekte der kalten Progression auf 434 Milliarden Euro. Wie sich die heimlichen Steuererhöhungen im Einzelfall auswirken, macht das Ifo-Institut an Musterbeispielen deutlich: Ein Geringverdienerhaushalt mit einem Bruttojahreseinkommen von 25 000 Euro musste von 2011 an mit Mehrbelastungen von 185 Euro jährlich rechnen. Bei einem Haushalt mit 100 000 Euro Jahreseinkommen betrage die jährliche Mehrbelastung 960 Euro.

FDP-Chef Christian Lindner griff die große Koalition scharf an. Die heimlichen Steuererhöhungen und die Niedrigzinspolitik hätten zur größten Umverteilung der vergangenen Jahrzehnte geführt. Verlierer seien die privaten Haushalte, Gewinner der Staat. „Die Belastung der Mitte wird nicht thematisiert“, sagte Lindner, der die FDP auch mit steuerpolitischen Aussagen in den Bundestagswahlkampf führen will. Der Union und der SPD, die Steuersenkungen verweigerten, warf er „Kleptokratie“ und eine Herrschaft der Plünderer vor. Die CDU sei schuld, dass die FDP Steuersenkungen in der Zeit der Regierungsbeteiligung bis 2013 nicht durchsetzen konnte. Die CDU habe in der Steuerpolitik die Glaubwürdigkeit eines Handtaschenräubers, sagte Lindner.

Die FDP plädiert für eine spürbare Einkommensteuersenkung sowie einen jährlichen Ausgleich der heimlichen Steuererhöhungen. Außerdem soll der Solidaritätszuschlag abgeschafft werden. Um Normalverdienern den Zugang zum Eigenheim zu erleichtern, solle bei der Grunderwerbsteuer ein Freibetrag von 500 000 Euro eingeführt werden. Dies würde bedeuten, dass der Kauf einer Eigentumswohnung oder eines Hauses steuerfrei bleibt.