Susanne Martin (l.) und Frauke Ehlers sind seit 31 Jahren ein Paar. Foto: Leonie Schüler

Seit einem Jahr dürfen Lesben und Schwule standesamtlich heiraten. Susanne Martin und Frauke Ehlers erzählen, warum dieser Schritt für sie wichtig war und was zu ihrem Glück noch fehlt.

Leinfelden-Echterdingen - Seit dem 13. Oktober 2017 gelten Susanne Martin und Frauke Ehlers vor dem Gesetz als Ehepaar. An jenem Freitag haben sie im Standesamt Leinfelden ihre eingetragene Lebenspartnerschaft in eine Ehe umwandeln lassen. „Wir haben gesagt: Freitag, der 13., der bringt uns Glück“, sagt Susanne Martin und lacht. Die beiden Frauen aus Oberaichen wollten unbedingt schnell nach dem 1. Oktober, als das Gesetz in Kraft getreten ist, heiraten – falls es zu einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht gekommen wäre. Keiner sollte formell mehr daran rütteln können, dass sie zusammengehören.

In ihrem Herzen kann daran schon lange keiner mehr rütteln: Seit 31 Jahren sind Susanne Martin und Frauke Ehlers ein Paar. Kennengelernt haben sie sich als Kolleginnen in einer Buchhandlung; bei einem Tina-Turner-Konzert sprang der Funke über. Versteckt haben sie ihre sexuelle Orientierung nie, aber auch nicht an die große Glocke gehängt. „Ich habe es lange einfach nicht thematisiert. Es muss ja nicht jeder mit einem Schild rumlaufen“, sagt Susanne Martin, die viele Jahre die Schiller-Buchhandlung in Stuttgart-Vaihingen geleitet hat. Ihre Kollegen wussten Bescheid, den Kunden gegenüber erwähnte sie es einfach nicht. „Ich wusste nicht, wie die Leute darauf reagieren, und ich hatte ja Verantwortung für ein Team“, sagt die 59-Jährige, die im Februar in den Ruhestand gegangen ist. Auch politisch habe sie es so gehalten: Ihr Buchladen sollte keine Plattform für Wahlkampf oder S-21-Diskussionen sein.

Flagge zeigen

„Mit Neutralität kommen wir aber nicht weiter“, wirft ihre Frau ein, und Susanne Martin nickt. Heute, sagt Martin, würde sie das anders machen. „Die politische Situation hat sich so geändert, man muss jetzt wirklich Farbe bekennen. Ich würde heute entschiedener Position beziehen.“ Sie sei eben von Natur aus defensiv und immer auf der Hut gewesen. „Wir sind halt von den 80er Jahren geprägt“, erklärt Frauke Ehlers, und ihre Frau pflichtet ihr bei: „Stimmt. Wir sind groß geworden in einer Atmosphäre, in der das Anderssein nicht erwünscht und nicht üblich war.“ Doch je älter sie werde, desto weniger störe sie, was andere denken. Das liege auch daran, dass sie inzwischen keine öffentliche Rolle mehr erfüllen müsse.

Frauke Ehlers hat sich mit ihrem Outing leichter getan. „Es war mir wichtig, es relativ früh in meinem Arbeitsumfeld öffentlich zu machen“, sagt die 54-Jährige. Viel schwieriger sei der Schritt gewesen, für sich selbst zu wissen und zu akzeptieren, lesbisch zu sein. „Das war ein innerer Prozess.“ Persönlich angefeindet wurden Ehlers und Martin nie. Diskriminierung haben sie eher durch bürokratische Schwerfälligkeit zu spüren bekommen: Wenn zum Beispiel Formulare im Krankenhaus eine eingetragene Lebenspartnerschaft nicht vorgesehen haben. Selbst für die Steuererklärung gab es im Computerprogramm keine gleichgeschlechtlichen Paare, was zur Folge hatte, dass eine der beiden als Mann angelegt wurde. Beigefügt war das Schreiben eines Beamten mit einer Entschuldigung für die falsche Anrede. „Ich reg’ mich da nicht mehr so drüber auf“, sagt Frauke Ehlers, und Susanne Martin ergänzt, sie amüsiere sich in solchen Situationen eher darüber, wenn sie ihr Gegenüber in Verlegenheit bringe. Der bürokratische Ärger sei ein „Luxusproblem“, viel wichtiger sei doch, dass das Zusammenleben zweier Frauen oder zweier Männer immer selbstverständlicher werde.

Nicht alle Standesämter zogen mit

2001, als die beiden Frauen ihre Lebenspartnerschaft eintragen ließen, war das nämlich noch anders: „Der OB Schuster hat damals alle Bezirksvorsteher in Stuttgart gefragt, wer dazu bereit wäre, die Eintragungen durchzuführen. Nur in Weilimdorf und Untertürkheim war das der Fall“, erzählt Martin. Sie hätten sich dann für Weilimdorf entschieden, weil dort mit Ulrike Zich eine Frau im Amt war und ist. Martin erinnert sich gerne: „Sie hat das richtig schön gemacht. Ich war total nervös, wie im schlechten Film.“

Sowohl die eingetragene Lebenspartnerschaft als nun auch die standesamtliche Ehe war für das Paar aus Oberaichen ein wichtiger Schritt. „Beide Akte haben für mich etwas ausgemacht“, sagt Frauke Ehlers. Dabei gehe es ihr weniger darum, dass sie und ihre Frau nun rechtlich gleichgestellt sind, was zum Beispiel die Krankenversicherung, das Erb- oder das Steuerrecht betrifft. Vielmehr gehe es um die Wahrnehmung, die andere von ihnen als Paar hätten. „Es ist ein großer Unterschied in meinem eigenen Identitätsgefühl. Das hätte ich selbst nicht gedacht.“ Von „meiner Frau“ zu sprechen komme ihr nun ganz anders über die Lippen.

Die Zeit war reif

Dass die Ehe für alle im vergangenen Sommer so plötzlich auf die Tagesordnung des Bundestages kam und dann vom Bundesrat verabschiedet wurde, hat viele überrascht. „Die Zeit war reif“, sagt Frauke Ehlers. Bei der Berichterstattung hat Susanne Martin die Bildauswahl gestört. „Es wurden schrille Paare gezeigt, dabei ist der Großteil der gleichgeschlechtlichen Paare ganz normal, eher konservativ, und sie fallen nicht besonders auf.“ Sie selbst sei doch „wie jede andere auch, nur, dass ich mit einer Frau zusammen bin.“

Ein großer Wunsch bleibt für Susanne Martin nach wie vor unerfüllt: kirchlich zu heiraten. Dass die Evangelische Landeskirche in Württemberg dies nicht erlaubt – bundesweit als eine der letzten –, bezeichnet Martin als „sehr großes Ärgernis und große Enttäuschung“. Sie sei zwar nicht tief religiös, als Christin würde sie dennoch gerne Gottes Segen bekommen. Sie sei aber nicht bereit, den Kompromiss einzugehen, eine heimliche Zeremonie zu feiern.

Es ist gut, wie es ist

Und wie schaffen es die beiden, was vielen heterosexuellen Paaren nicht gelingt, ihre Beziehung nun schon seit 31 Jahren glücklich zu halten? „Wir sind sehr gut im Gespräch miteinander und haben uns immer was zu erzählen“, sagt Susanne Martin. Sie hätten einige Schicksalsschläge zusammen gemeistert. „Die gemeinsam gelebten Jahre machen es attraktiver“, ergänzt Ehlers. Außerdem habe es den Bruch, wenn Kinder in eine Beziehung kommen und sich die Rollen verschieben, bei ihnen nicht gegeben. Den Wunsch danach hätten sie zeitweise durchaus gehabt, aber er sei nicht groß genug gewesen, um sich in Rechtskämpfe zu begeben. Dafür sei der Kontakt zu Neffe, Nichte und Patenkindern sehr eng. „Wir haben einen Weg gefunden, dass es gut ist, wie es ist“, sagt Ehlers.