Flüchtlinge sollen künftig für 4,5 Quadratmeter Wohnfläche 389 Euro monatlich bezahlen – wie hier in den Systembauten im Neckarpark. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Von Freitag an müssen Flüchtlinge für städtische Unterkünfte deutlich mehr bezahlen als zuvor. Helfer und Sozialorganisationen fürchten um die Integration.

Stuttgart - Von Freitag an gelten für rund 8000 Menschen in städtischen Flüchtlingsunterkünften deutlich höhere Nutzungsgebühren. Die Bewohner müssen demnach statt bisher 116 Euro künftig 389 Euro pro Kopf und Monat für ihre Unterbringung bezahlen – und das für 4,5 Quadratmeter. Die Gebühr entspricht in etwa einer Miete, enthält aber deutlich mehr, etwa Abschreibungen für die Gebäude, Betriebs- oder Personalkosten. Das Entsetzen darüber besonders bei den karitativen Organisationen und in Helferkreisen hält an. So haben sich jetzt Vertreter der Stuttgarter Flüchtlingsfreundeskreise getroffen und kündigen Gegenmaßnahmen an.

„Jeder, der das mitbekommt, steht dem Vorgang mit völligem Unverständnis gegenüber“, sagt Wolf-Dieter Dorn, Sprecher des Freundeskreises Flüchtlinge Feuerbach. Man könne zwar verstehen, dass die Stadt mit der Maßnahme höhere Zuschüsse vom Bund erreichen wolle, „aber das wird auf dem Rücken der Geflüchteten ausgetragen“. Auch die wüssten um die normalen Miethöhen in Stuttgart und könnten deshalb nicht verstehen, was gerade passiere. „Es gibt eine gewaltige Unsicherheit. Dagegen müsste die Stadt dringend etwas unternehmen und den Leuten erklären, worum es geht“, so Dorn.

Die neue Satzung betrifft vor allem die rund zehn Prozent der Flüchtlinge, die bereits eigenes Geld verdienen und deshalb für ihre Unterbringung selbst bezahlen. Die meisten von ihnen werden sich das in Zukunft nicht mehr leisten können und deshalb eine Aufstockung vom Jobcenter beantragen müssen. Der Gemeinderat, der sich im Juli mit großer Mehrheit für das neue Modell ausgesprochen hat, sowie Sozialbürgermeister Werner Wölfle argumentieren, dass dadurch keiner mehr bezahlen müsse. „Stuttgart zockt keine Flüchtlinge ab. Niemand wird stärker belastet als zuvor“, sagt Wölfle. Die Stadt verspricht sich zusätzlich 5,8 Millionen Euro jährlich vom Bund, der gut die Hälfte der Wohngebühren zuschießt.

Abhängig vom Jobcenter trotz Arbeit

„Die Wirkung für die Integration ist trotzdem verheerend“, sagt Dorn. Man beobachte bereits jetzt, dass kaum noch jemand wirklich Lust habe, in Lohn und Brot zu kommen. „Die Leute wollen auf eigenen Füßen stehen und nicht auf Geld von der öffentlichen Hand angewiesen sein“, so Dorn. Wenn sie jetzt sehen, dass sie trotz Arbeit wieder in die Abhängigkeit geraten, sei das kontraproduktiv. „Jeder Job, und sei er noch so schlecht bezahlt, ist wichtig. Er bringt Geflüchtete mit der Arbeitswelt und Kollegen in Kontakt“, so Dorn. In Zukunft werde es schwer, das noch zu vermitteln.

Dass die Betroffenen schnell normale Wohnungen finden und die städtischen Unterkünfte verlassen können, glauben viele Helfer angesichts des Wohnungsmarkts nicht. Dorn fürchtet auch, dass in der Bevölkerung durch die Problematik ein falsches Bild entstehen könnte: „Es ist entsetzlich, dass da der Eindruck erweckt wird, Flüchtlinge wollten nicht ausziehen. Dabei suchen sie nach anderen Wohnmöglichkeiten, sobald sie in die städtischen Unterkünfte eingezogen sind.“

Die Helferkreise wollen jetzt abwarten, bis die neuen Bescheide bei den Flüchtlingen eintreffen. „Wir werden versuchen, ihnen die Bürokratie abzunehmen, und die Bescheide auch juristisch prüfen“, so Dorn. Im Zweifel werde man dagegen vorgehen. „Wir glauben nicht“, sagt Dorn, „dass die Stadt gewusst hat, auf was sie sich da einlässt.“