Gute Erinnerungen: Bayerns Ex-Coach Ottmar Hitzfeld Foto: Getty

An diesem Dienstag wird die Ball-Saison in der Königsklasse eröffnet: Erfolgstrainer Ottmar Hitzfeld freut sich auf viele Sternstunden – und sieht den FC Bayern München als Titelfavoriten. In der Bundesliga hat der ehemalige VfB-Spieler noch Hoffnung für seinen Ex-Club.

Stuttgart – Herr Hitzfeld, die Champions League startet in die Gruppenphase – was fühlen Sie,wenn Sie die Hymne der Königsklasse hören?
Es kribbelt, jedes Mal. Es ist eine tolle Hymne, eine mit viel Gefühl. Man weiß bei diesen vertrauten Tönen, dass es gleich losgeht, dass die Besten gleich gegeneinander spielen. Schon als Trainer habe ich versucht, die Hymne kurz vor Spielbeginn bewusst zu genießen und aufzusaugen – was aber natürlich nicht immer ganz geklappt hat. Man stand ja immer unter Druck.
Das tun Sie jetzt nicht mehr. Wie können wir uns Ottmar Hitzfeld beim Champions League schauen auf der Couch daheim vorstellen?
Ich bin ganz entspannt und genieße die Spiele in aller Ruhe. Ich haue nicht mit der Faust aufs Sofa oder auf den Tisch (lacht.) Ich gucke mir die deutschen Spiele an, klar. Aber ich schalte auch oft auf die Konferenz um – ich will ja schließlich keine Tore verpassen.
Das Finale findet in dieser Saison im Mailänder Giuseppe-Meazza Stadion statt – dort haben Sie 2001 in einem dramatischen Spiel den Titel mit dem FC Bayern gegen den FC Valencia geholt. Welche Erinnerungen kommen bei Ihnen hoch, wenn Sie an den Finalort denken?
Das Elfmeterschießen. Das Adrenalin. Und der Gedanke, dass wir dieses Finale 2001 einfach nicht verlieren durften. Das wäre nicht gegangen, das hätte einen unbeschreiblichen Knacks gegeben. Nach dem Finale gegen Manchester United 1999...
...das Sie durch zwei Tore in der Nachspielzeit verloren haben...
...war diese Mannschaft einfach dran. Noch so eine Niederlage hätten wir alle wahrscheinlich nicht verkraftet.
Nun, knapp 14 Jahre später schickt sich der FC Bayern erneut an, in Mailand den Henkelpott zu holen – mit welchen Chancen?
Der FC Bayern hat sehr gute Chancen auf den Titel – er ist neben Real Madrid und dem FC Barcelona der Topfavorit.
Was macht die Bayern so stark?
Sie haben den besten Kader in ihrer Geschichte. Das Aufgebot wird ja jedes Jahr noch besser, man muss sich nur mal die ganzen Einzelspieler anschauen. Das ist kein Vergleich zu meiner Mannschaft von 2001.
Was sind die Unterschiede?
Wir sind damals nicht als Favorit in die Saison gegangen. Das Budget war im Vergleich zu Teams wie Real Madrid, dem FC Barcelona und Manchester United viel geringer als jetzt. Wir kamen mehr übers Kollektiv und den unbedingten Willen – wobei wir natürlich auch starke Einzelspieler hatten. Aber eben nicht in der Fülle, wie es beim FC Bayern heute der Fall ist. Da kannst du ja als Trainer theoretisch zwei Weltklassenmannschaften auf den Platz schicken.
Dennoch gibt es Stolperfallen – die Debatte um die Vertragsverlängerung von Pep Guardiola könnte bald wieder in Schwung kommen und sich aufs Binnenklima auswirken.
Diese Problematik mit Pep sehe ich überhaupt nicht. Die Mannschaft macht sich darüber keine Gedanken, sie spielt ihr Spiel – weil sie große Ziele vor Augen hat. Der Rest interessiert sie nicht, da bin ich mir sicher.
Sie haben sich in der Debatte um die Transferpolitik des FC Bayern zu Wort gemeldet und betont, dass sie ein Problem darin sehen, wenn man sich vom deutschen Markt entfremdet und die deutsche Mentalität etwas verloren geht. Wie sehen Sie Pep Guardiolas Einfluss auf die Transferpolitik?
Er bringt eine andere Philosophie mit. Sein Handeln auf dem Transfermarkt ist etwas internationaler angelegt als es beim FC Bayern vorher war – was ja nicht unbedingt schlecht sein muss. Der FC Bayern hat sich aber immer auch durch einheimische Führungspersönlichkeiten definiert, die den Takt vorgaben.
Fürchten Sie, dass das nicht mehr so sein wird?
Ich habe meine Bedenken geäußert, nachdem zuerst Toni Kroos und dann Bastian Schweinsteiger verkauft wurden. Es gibt ja aber auch noch Thomas Müller, der einfach ein Sonnenschein ist und unverkäuflich ist, und es gibt Manuel Neuer, Philipp Lahm und Jérome Boateng, da mache ich mir in den nächsten Jahren keine Sorgen. Wichtig wäre es nun aber vor allem wieder, im Jugendbereich nach vorne zu kommen und eigene Talente hervorzubringen. Dort hat der FC Bayern ja zuletzt keinen Titel mehr geholt.
Was macht Ihnen da Hoffnung?
Uli Hoeneß hat sich genau das auf die Fahne geschrieben, den FC Bayern in der Jugendarbeit voranzubringen. Und wenn Uli Hoeneß etwas macht, dann macht er es richtig.
Als Manager brachte er den FC Bayern über Jahrzehnte hinweg auch finanziell voran – nun grassiert angesichts der finanziellen Übermacht die Angst vor der Dominanz der englischen Clubs, die von den horrenden Einnahmen aus den TV-Verträgen auf der Insel profitieren. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?
Man kann das Rad nicht mehr zurückdrehen. Und dass die englischen Clubs die besten deutschen Spieler in den nächsten Jahre regelmäßig wegkaufen werden, damit müssen sich die deutschen Vereine – abgesehen vom FC Bayern – abfinden.
Was können deutsche Clubs wie Borussia Dortmund oder Bayer Leverkusen tun, um im internationalen Vergleich noch Schritt zu halten?
Man muss das Scouting weiter verbessern, langfristiger planen. Wenn Spieler A abgeworben wird, darf ich als Verein nicht mehr nur Spieler B als Alternative im Kopf haben. Es braucht auch schon Spieler C und D in der Hinterhand. In die Spielerbeobachtung müssen – neben der Talentförderung natürlich – vermehrt die Gelder gesteckt werden. Kontinuierliche, langfristig ausgerichtete Arbeit wird sich auf Dauer auszahlen.
Neben dem FC Bayern hoffen in dieser Saison noch Borussia Mönchengladbach, Bayer Leverkusen und der VfL Wolfsburg auf den großen Geldregen in der Königsklasse – was trauen Sie dem Bundesliga-Trio zu?
Gladbach hat es mit Manchester City, Juventus Turin und dem FC Sevilla in der Gruppe knüppeldick erwischt, erst recht,wenn man sich die aktuelle sportliche Lage der Borussia anschaut. Mit ein bisschen Glück ist aber Platz zwei drin – ManCity sehe ich als Favoriten, dahinter ist was möglich. Juve steckt zurzeit ja auch in einer Krise. Wolfsburg traue ich den Sprung ins Achtelfinale zu. Sie haben sich nach den Abgängen von Kevin de Bruyne und Ivan Perisic mit Julian Draxler, vorher Max Kruse und Dante als Stabilisator gut verstärkt. Ein Sieg zum Auftakt gegen ZSKA Moskau ist aber Pflicht.
Und Bayer Leverkusen?
Sie haben sich herrvorragend entwickelt und international schon im vergangenen Jahr überzeugt. Der FC Barcelona wird wohl Gruppenerster, dahinter wird es mit dem AS Rom ein Duell um Platz zwei geben. Ich bin zuversichtlich – denn die Bank ist bei Bayer stärker besetzt als im vergangenen Jahr.
Kommen wir zum Abschluss zu einem Verein, der von der Königsklasse zurzeit meilenweit entfernt ist – dem VfB Stuttgart. Wie beurteilen Sie die Entwicklung Ihres Ex-Clubs?
Sagen wir es mal so: Die ersten vier Spiele sind auf gut Deutsch einfach beschissen gelaufen. Das Team war nie schlechter als der Gegner, hat aber trotzdem immer verloren.
Haben Sie Sorge, dass der VfB eine ähnliche Horror-Saison wie zuletzt erlebt und am Ende sogar absteigt?
Nein, auf gar keinen Fall. Ich bin überzeugt davon, dass der VfB am Ende im gesicherten Mittelfeld landen wird.
Was konkret macht Ihnen Hoffnung?
Alex Zorniger ist ein guter Trainer. Er hat eine starke Persönlichkeit und ist sehr authentisch, und Robin Dutt (Sportvorstand, d. Red.) hat in der Liga schon alles erlebt. Da sind die richtigen Personen am Werk.
Was muss Alexander Zorniger jetzt tun, um sein Team aus der Krise zu führen?
Der Job des Trainers ist es, auch in stürmischen Zeiten den Kopf in den Wind zu strecken und als Kapitän voranzugehen.
Zuletzt wich Zorniger etwas von seiner Taktik ab und ließ in Berlin nicht mehr den bedingungslosen Angriffsfußball spielen, den er sich selbst mit Vehemenz auf die Fahnen geschrieben hat. Untergräbt er damit nicht seine eigene Autorität?
Überhaupt nicht. Ein guter Trainer zeichnet sich dadurch aus, dass er seine Taktik der aktuellen Lage anpasst. Dadurch zeigt er Stärke. Alex Zorniger hat das genau richtig gemacht. Jetzt muss er seinem Team bedingungsloses Vertrauen entgegenbringen, dann werden die ersten Siege bald kommen.