Vom Architekten des Rosensteinschlosses, Giovanni Salucci, erbaut: Das Benckendorff-Mausoleum auf dem Heslacher Friedhof. Foto: Sybille Neth

Heslach birgt einige Geheimnisse: Die Historikerin Claudia Weinschenk lüftet einige bei einem Spaziergang durch die Geschichte des ehemaligen Bauernweilsers.

S-Süd - Heute hält die Stadtbahn am Bihlplatz und nichts erinnert mehr daran, dass dieser in mehrfacher Hinsicht für die Geschichte Heslachs eine tragende Rolle gespielt hatte. So stand im 19. Jahrhundert hier ein Gasthaus mit sehr spezieller Bedeutung. Dort wohnten vorübergehend Töchter aus dem Stuttgarter Bürgertum, die ungewollt schwanger geworden und nicht verheiratet waren. „Dort blieben sie bis zur Niederkunft. Das Kind kam in eine Pflegefamilie“, weiß die Kunsthistorikerin und Geschichtswissenschaftlerin Claudia Weinschenk. So wurden die Töchter der gesellschaftlichen Schmach entzogen, die Familienehre gerettet und ihr Wert als Braut wieder hergestellt. Was mit den Kindern geschah, ist nicht überliefert, wohl aber die Existenz des Gasthauses. Heslach lag damals so abgelegen, dass die Töchter in dem Bauernweiler mit seinen vielen – erhaltenen, aber mittlerweile verputzten – Fachwerkhäusern, unentdeckt blieben.

Nahtstelle am Marienplatz

Im umfangreichen Programm von Claudia Weinschenks Geschichtsverführungen steht auch der Spaziergang durch abseits gelegene Winkel im Süden. Im Gegensatz zu vielen anderen Stadtbezirken gehörte Heslach schon immer zu Stuttgart. Aber erst um das Jahr 1880 wuchsen Stadt und Stadtteil am Marienplatz zusammen. „Stuttgart endete zuvor am Wilhelmsplatz“, weiß die Historikerin. Seinen Namen hat der Marienplatz im evangelischen Stuttgart nicht aus der katholischen Kirche, sondern er wurde nach der ersten, im Kindbett verstorbenen Ehefrau von Wilhelm II., Maria von Waldegg, benannt.

Steine für die Alte Kanzlei

1334 wurde „Haslach“ erstmals erwähnt: „Es war ein sumpfiger Weiler, urwaldähnlich und nicht einmal die Römer waren hier“, charakterisiert Claudia Weinschenk die Anfänge. Ebenfalls am heutigen Bihlplatz stand eine Mühle, die erstmals 1392 erwähnt wurde. „Dahinter hörte die Welt auf“, so Weinschenk. 1480 lebten hier 16 Familien in 14 Häusern und es gab vier Straßen. 1497 wurde das ehemalige Wallfahrtskirchlein am Bihlplatz zugunsten eines größeren Gotteshauses abgerissen und seine Steine wurden für den Bau der Alten Kanzlei verwendet. Erstaunliches in Gestalt des Benckendorff-Mausoleum findet sich auf dem dörflichen Friedhof hinter der Kreuzkirche. Graf Konstantin von Benckendoff, ein russischer Gesandter am württembergischen und badischen Hof, ließ es 1798 von Architekt Giovanni Salucci, dem Erbauer des Schloss Rosenstein, für seine mit nur 27 Jahren bei der Geburt ihres zweiten Kindes verstorbene Frau Natalia errichten. Sie hatte gewünscht, hier begraben zu werden – und zwar aus Dankbarkeit: Während eines Unwetters war sie einmal mit ihrer Kutsche in Heslach festgesessen und von einer Bäuerin beherbergt worden. Am Friedhofsausgang zur Hasenstraße ist das Grab von Karl Kloss, der für die SPD im Reichstag saß. Bei seinem Begräbnis 1908 reichte der Trauerzug quer durch die Stadt: vom Krematorium auf dem Pragfriedhof bis zum Familiengrab. So beliebt war der Schreiner, Gewerkschafter und Politiker gewesen.

Ort für Trikottagenfabriken

Im 19. Jahrhundert begann der Stadtteil im Zuge der Industrialisierung zu wachsen. Von der Schwäbischen Alb kamen neue Einwohner hinzu, in der Hoffnung, hier Arbeit zu finden. Die Textilindustrie siedelte sich in Heslach an: Am Erwin-Schoettle-Platz ist noch das heute umgenutzte Areal der früheren Wirkwarenfabrik Wilhelm Benger zu sehen, gegenüber betrieb Alfred Hagaa ebenfalls einen Textilbetrieb. An der Böheimstraße lag die Trikotagenfabrik Lang und Bumiller und zwar inmitten einer Klinker-Arbeitersiedlung. Hier wohnten die Ärmsten. Deshalb wurde sie im Volksmund „Kohldampfgässle“ genannt. Heute ist hier die Wäscherei des Marienhospitals.

Gotteshaus und Stadtbad

Heslach wuchs rasch. 1800 wurde noch akribisch die Einwohnerstruktur erfasst: 770 Seelen, 18 fremde Dienstboten, ein Ausländer, ein Katholik, 145 Schulkinder. Ab 1867 kamen alle vier Jahre rund 1000 Bewohner hinzu. So musste sich auch die Infrastruktur ändern: 1881 wurde die Matthäuskirche vollendet, neben Bürgerhäusern entstanden die Südheimer Siedlung und das Eiernest – und für die vielen Menschen ohne Badezimmer: das Stadtbad.