Realitätsnaher Einsatz: Ein von der Bundespolizei gestellter Hubschrauber landet auf einer Lichtung, um Hilfsgüter aufzunehmen. Foto:  

Rund 40 Hilfsorganisationen aus aller Welt haben ihre Einsatzkräfte nach Neuhausen geschickt. In üben unter dem Dach der Vereinten Nationen den Ernstfall in einem Erdbebengebiet.

Neuhausen - Der Hinweis am Waldeingang beruhigt nur bedingt: „Sie müssen sich um Ihre Sicherheit nicht fürchten“, steht da. Das Treiben im Sauhag, dem Waldgebiet vor den Toren von Neuhausen, ist wohl geeignet, dem unbedarften Spaziergänger Furcht einzujagen. Schließlich bewegt er sich in einem Erdbebengebiet. Eine Million Menschen sind betroffen, unzählige Tote liegen unter den Trümmern, Tausende versuchen, sich aus zerstörten Bergdörfern in die Metropolen zu retten. Sie und die ins Land gerufenen Hilfsorganisationen stehen vor eingestürzten Brücken und zerstörten Verkehrswegen. Die Telefonleitungen sind zusammengebrochen, das Internet ist lahmgelegt. Einziger Trost: bei dem Erdbeben im Sauhag handelt es sich um ein fiktives Szenario.

Zombies im Wald

Fiktiv, aber ganz nahe an der Realität. Selbst der Einsatzleiter, André Herrmann, spricht von Zombies, die da, übermüdet und ungewaschen, seit Montag im Wald den Ernstfall üben. Ernstfall heißt: die Telekommunikation und den Transport von Hilfsgütern in einem Land herzustellen, das von einem verheerenden Erdbeben heimgesucht wurde. Rasche Verständigung und schnelle Hilfe – das sind die Faktoren, die im Katastrophenfall über Leben und Tod entscheiden. Im Sauhag feilen rund 200 hoch spezialisierte Fachleute der Disziplinen Telekommunikation und Logistik daran, ihre Arbeit aufeinander abzustimmen. Immer wieder werden sie dabei mit neuen Situationen konfrontiert, mit denen sie fertig werden müssen – ebenso, wie mit dem Schlafentzug und dem Stress. „Wir spielen mit ihnen“, sagt André Herrmann, der Einsatzleiter des Logistic Response Teams (LRT) der Vereinten Nationen. Die Figuren, die er und sein für die Kommunikationsstränge zuständiger Kollege Stephen Clark vom Emergency Telekommunications Cluster (ETC) wie auf einem Schachbrett hin und her bewegen, sind Mitarbeiter von 44 Hilfsorganisationen aus aller Welt. Sie wurden nach Neuhausen geschickt, um bei einer Notfallübung die disziplinenübergreifende Zusammenarbeit einzuüben.

Erdbeben-Szenario nah an der Realität

Das Szenario der einwöchigen Notfallübung hat das World Food Programm (WFP), eine UN-Organisation, nah an der Realität entworfen. Die Infrastruktur und die Dienstleistungen vor Ort steuert die in Neuhausen beheimatete Bundesschule des Technischen Hilfswerks (THW) bei. „Dieses Training, bei dem Logistik- und Telekommunikationsexperten gemeinsam üben, hat es in dieser Form bisher noch nicht gegeben. Es ist wichtig, dass sich die internationalen Helfer austauschen und den Umgang mit neuen Techniken lernen“, sagt der WFP-Sprecher Rouven Brunnert.

Geboren wurde die Idee aus der schlechten Erfahrung heraus. Der verheerende Tsunami 2004 im Indischen Ozean und mehr noch die danach einsetzenden unkoordinierten Hilfeversuche der internationalen Gemeinschaft haben die Notwendigkeit einer Zusammenarbeit über die Grenzen hinweg schmerzhaft aufgezeigt.

So stellen sich jetzt Spezialisten der Unicef, der UNHCR und der FFP Hand in Hand mit Helfern von Oxfam, Ärzte ohne Grenzen und dem Roten Kreuz den vom Trainerteam ausersonnenen Strapazen. Dabei haben die Teilnehmer nicht gewusst, was auf sie zukommt. „Sie haben die Koffer gepackt, um an einer einwöchigen Schulung in Neuhausen teilzunehmen“, sagt der LRT-Chef Steven Cahill. Möglicherweise haben sie im Internet auch ausgespäht, wo es sich nach einem Seminartag im nahe gelegenen Stuttgart am besten entspannen lässt. Aber das Internet funktioniert ja nicht mehr – und dass ihnen eine Woche im Zelt bevorsteht, hat auch keiner geahnt.