Michele Marino genießt die Zeit am Strand in Barcelona. Foto: privat

Die Familie Marino ist seit März für eine spezielle Krebsbehandlung des dreijährigen Michele in Barcelona. Bald kehrt sie zurück – mit großer Dankbarkeit und Zuversicht.

Fellbach/Barcelona - Die Familie Marino hatte zuletzt einige Gründe zum Feiern. Sie erlebte den Lockdown wegen der Corona-Pandemie in Spanien hautnah, und als es dort Anfang Juni erste Lockerungen gab, Stadtbummel und Strandbesuche wieder möglich wurden, war das „wie Weihnachten und Ostern gleichzeitig“, sagt Daniele Marino, der Vater. Auch die Geburtstage der beiden Kinder wurden gebührend gefeiert. Doch die Freude, dass der nun drei Jahre alte Michele wieder unbeschwert lachen kann, ist das größte Glück der jungen Familie.

Ende des vergangenen Jahres war der Blick in die Zukunft noch getrübt. Angst, Leid und Schmerz bestimmten den Alltag. Daniele Marino, 28, bei der Stadt Fellbach im kommunalen Ordnungsdienst KOD beschäftigt, ging an die Öffentlichkeit, weil er Unterstützung brauchte. Bei Michele war Mitte 2019 ein Neuroblastom diagnostiziert worden – eine schwere Krebserkrankung des Nervensystems, die vorrangig Kleinkinder betrifft. Neuroblastome sind sogenannte bösartige solide Tumore. Bei Michele wurde überdies das Onkogen MYCN festgestellt, ein Zeichen für aggressive und resistente Tumorzellen. Auch bei erfolgreicher Behandlung droht die Rückkehr des Krebses.

Sogar ein Fanclub von Juventus Turin aus dem Zollernalbkreis sammelte für die Behandlung

Im Zuge privater Recherchen kristallisierte sich heraus, dass eine spezielle Antikörperbehandlung, die in Barcelona angeboten wird, langfristig erfolgversprechend sein könnte. Neben der Ungewissheit, ob sie wirklich anschlagen würde, kam eine enorme finanzielle Hürde. Denn deutsche Kassen tragen diese Kosten nicht. Die prognostizierte Rechnung: 225 000 Euro. Eine Summe, die über Spenden tatsächlich zusammenkam. Die Stadt Fellbach stellte etwa das Rathausfoyer für ein Benefizkonzert zur Verfügung. Der Kreis von Unterstützern wurde größer, über Online-Plattformen ging Geld ein. Sogar ein Fanclub von Juventus Turin aus dem Zollernalbkreis sammelte für die Behandlung, der Förderkreis krebskranke Kinder

Die finale Krebsbehandlung im Krankenhaus wurde von den Schwestern wie ein Fest zelebriert. Foto: privat
Stuttgart nahm sich der Sache an.

Nach monatelanger Chemotherapie in Deutschland packte die Familie Marino schließlich die Koffer für Spanien. Mit im Gepäck: viel Hoffnung. Für den „kleinen Löwen“, wie Michele genannt wird, weil er stets ein tapferer Kämpfer war, ging es in das Kinderkrankenhaus Sant Joan de Déu in Barcelona.

Auf Ende September werden die Marinos ihre Interimswohnung in Barcelona räumen

Im April begann die kostspielige Antikörpertherapie, der letzte Zyklus stand Anfang August an. „Das wurde im Krankenhaus gefeiert“, berichtet Daniele Marino. „Die Krankenschwestern haben das Bett mit Luftballons geschmückt.“ Und Spiderman kam ausgedruckt auf ein Plakat mit den Worten „Last day Michele“, weil der kleine Patient die Comicfigur so mag. „Last day“, also letzter Tag, steht zum Glück nur für die Behandlung. Denn Michele hat nach jetzigem Wissensstand ein langes, uneingeschränktes Leben vor sich. „Er gilt als krebsfrei“, sagt sein Vater. Im Knochenmark wurden keine Krebszellen mehr gefunden, der Primärtumor und die Metastasen seien verschwunden. „Sein Immunsystem und die Blutwerte sind gut“, sagt Daniele Marino, „es ist alles gut gelaufen.“ Laut dem spanischen Chefarzt habe Michele „beste Voraussetzungen, gesund zu bleiben“. Zur Sicherheit stehen jetzt noch letzte Bestrahlungen an.

Auf Ende September werden die Marinos ihre Interimswohnung in Barcelona räumen. Das Packen falle schwer. „Spanien ist fest in unseren Herzen“, sagt die 25-jährige Mariarosa Marino. Die Menschen, auch wenn sie wegen der Corona-Regelungen Distanz halten müssten, seien so freundlich und hilfsbereit. Daniele Marino kann wieder bei der Stadt Fellbach seine Arbeit aufnehmen, er spricht von Heimweh nach Deutschland. Die Tochter Mariella, inzwischen Fünf, musste wegen ihres Bruders viel zurückstecken. „Sie ist einfühlsam und sehr reif für ihr Alter“, sagt ihre Mutter. „Am liebsten würde sie in die Schule gehen.“ In Deutschland warteten ihre Freundinnen auf sie.

Ihr christlicher Glaube habe ihnen schon immer Kraft gegeben

Weil alle Behandlungen ambulant stattfanden, hatten die Marinos viel Zeit mit- und füreinander, Michele konnte in der Familie Kraft tanken. Nicht nur die Kinder haben in Barcelona etwas Spanisch gelernt. „Beim Einkaufen komme ich gut zurecht“, sagt auch Daniele Marino. Die Tochter lernte Radfahren, Michele blühte vor allem am Meer auf. Sonne, Sand, Wasser, salzhaltige Luft, wem tut das nicht gut. Spanische Souvenirs, zudem ein von Lionel Messi vom FC Barcelona für Michele unterschriebenes Trikot und Fotos werden zu Hause an die vielen Monate in Spanien erinnern.

Überdies hat die Familie Zuwachs bekommen – den aber nur Michele sehe, wie die Eltern erzählen. Ihr christlicher Glaube habe ihnen schon immer Kraft gegeben, doch was Michele von sich gebe, sei für sie ein Wunder. „Jesus ist in meinem Bauch“, habe er plötzlich erklärt – und öffnete schon mal die Wohnungstür, um seinen beschützenden Freund hereinzulassen. „Wir mussten sogar für ihn eindecken“, sagt Mariarosa Marino, die sich fragt, wo ihr Sohn das herhat. „Wir haben nie so etwas mit ihm besprochen.“ Michele habe Jesus als „groß mit langen Haaren und blauen Augen“ beschrieben und sei mit ihm am Meer spaziert. „Für ihn ist er wirklich greifbar.“ Wie passend, dass für Michele ein Platz in einem evangelischen Kindergarten reserviert ist.

Michele hat große Entwicklungsschritte hinter sich. „Er ist sehr lebendig und spielt viel mit seiner Schwester“, sagt Daniele Marino. Mit wachen, strahlenden Augen erkunde er die Welt. Wenn die nächsten beiden Jahre der Krebs nicht zurückkommt, gilt Michele aus Sicht der spanischen Ärzte als geheilt. Die Marinos sind so zuversichtlich wie nie.