Das Seehaus war Tobias Merckles erstes soziales Vorzeigeprojekt. Foto: Michael Steinert

Die Stiftung Hoffnungsträger ist irritiert von heftiger Kritik. Künftig kann sie aber mit Wohlwollen rechnen. Sie plant ein weiteres ihrer Häuser – diesmal in Herrenberg. Flüchtlinge und Obdachlose sollen eine neue Bleibe bekommen.

Herrenberg - Gemeinnützigkeit ist mit Geschäftstüchtigkeit durchaus vereinbar. Die Stiftung Hoffnungsträger übt sich in Herrenberg als Bauunternehmen. Was ihre Pressesprecherin Julia Weiß „unser neues Geschäftsmodell“ nennt. Das Kerngeschäft der Stiftung bleibt selbstredend die Wohltätigkeit im Sinne der christlichen Nächstenliebe. Der Unternehmersohn Tobias Merckle hatte sie im Jahr 2013 gegründet, um mit dem Geld seines Vaters Not und Leid zu lindern. Unter anderem hatte Ratiopharm Adolf Merckle zu Reichtum verholfen. Er hatte des Unternehmen im Jahr 1973 in Blaubeuren bei Ulm gegründet.

Die Stiftung hat schon mehrere Häuser

Sein Sohn hat kein Interesse, das Geld zu mehren, aber Unternehmer ist auch er. Sozialunternehmer. In Leonberg hat er 2003 das Seehaus gegründet und ist dort seither geschäftsführender Vorstand. Im Seehaus leben jugendliche Straftäter im offenen Vollzug. In Kolumbien und Ruanda arbeiten die Hoffnungsträger für Frieden und Versöhnung, in Baden-Württemberg in jüngster Zeit vor allem für die Integration. Die Stiftung baut und betreut ihre sogenannten Hoffnungshäuser, in denen Einheimische und Einwanderer unter einem Dach leben. So soll Integration gleichsam schon im Hausflur gelingen. Nach diesem Konzept betreiben die Hoffnungsträger Häuser in Leonberg, Esslingen, Bad Liebenzell und Sinsheim.

In Herrenberg baut die Stiftung zwar nach eigenem Konzept, aber sie wird das Haus nicht betreiben. Mit einem oder mehreren tatsächlichen Hoffnungshäusern plant die Stadt erst für die Zukunft. Weshalb heftige Kritik aus dem Gemeinderat Julia Weiß verstört hat. Die Herrenberger Sozialdemokraten argwöhnen, dass die christliche Stiftung allzu christlich arbeitet. „Der Betreiber bekennt sich zum Pietismus“, sagte der Fraktionschef Bodo Philipsen, sprach von einer „Zwangsbeglückung“ der Flüchtlinge und forderte eine weltanschaulich neutrale Betreuung.

Die Stadt will den Betrieb des neuen Heimes übernehmen

Kritik sind die Hoffnungsträger durchaus gewohnt, aber „in dieser Form ist sie uns noch nicht begegnet“, sagt Weiß. Üblicherweise schwappt den Stiftungshäusern aus einer völlig anderen Richtung Argwohn vor die Türschwelle. Die künftigen Nachbarn befürchten wegen des Zuzugs von Flüchtlingen um den Ruf ihres Viertels. Laut Weiß allerdings nur vorübergehend: Sind die Hoffnungshäuser erst eröffnet, „bekommen wir durchweg positive Rückmeldungen, und die Nachbarn lassen sich einbinden“. Gegen Furcht und Vorurteile laden die Hausbewohner die Nachbarschaft üblicherweise zu Festen ein.

In Herrenberg will die Stadt den Betrieb übernehmen, weil in dem Neubau neben Flüchtlingen auch Obdachlose untergebracht werden sollen. „Es geht nicht um die inhaltliche Gestaltung, sondern nur um die Architektur“, sagt Weiß. Schon die ist mehrfach preisgekrönt. Die Hoffnungshäuser sind aus Holz erbaut und gelten als ökologisch vorbildlich. Vor wenigen Tagen kam für das Betreuungskonzept der Integrationspreis hinzu, den die Landesregierung dieses Jahr erstmals ausgelobt hatte. Die Hoffnungsträger belegten unter mehr als 400 Bewerbern den dritten Platz.

Für Flüchtlinge und Obdachlose fehlen Wohnungen

„Demnach kann das Konzept so falsch nicht sein“, sagt der Oberbürgermeister Thomas Sprißler. Das Stadtoberhaupt – wie die Mehrheit des Gemeinderats – hält die weltanschauliche Kritik an der Stiftung für verfehlt und will sie sehr wohl ihre Häuser nach dem üblichen Prinzip betreiben lassen. So steht es zwar bereits in den Gemeinderatsunterlagen zum Thema Flüchtlingsunterbringung, aber die Hoffnungsträger wissen noch nichts von dieser Absicht. „Im Moment gibt es keine konkrete Planung“, sagt Sprißler. „Aber wir denken für die nächsten Jahre.“ Vermutlich im Jahr 2021 könne die Stiftung mit einem Anruf der Stadt rechnen.

Der dürfte geradezu zwingend sein. Aktuell fehlen in Herrenberg Wohnungen für 164 Flüchtlinge und 114 Obdachlose. Als Notlösung müssen sie vorübergehend in Mobile Homes untergebracht werden – in transportablen Häusern. Außerdem enden in naher Zukunft die Verträge für Wohnungen, die die Stadt als Unterkunft für Flüchtlinge angemietet hatte.