Zu Gast in Stuttgart: Herlinde Koelbl zur Eröffnung ihrer Ausstellung. Foto: gut/Leif Piechowski

Leica hat in der Calwer Straße in Stuttgart einen Laden mit Galerie eröffnet. Zum Auftakt wird eine Ausstellung zum achtzigsten Geburtstag von Herlinde Koelbl gezeigt. Sie ist eine der vielseitigsten Fotografinnen unserer Zeit.

Stuttgart - Selbst bei guten Freunden bleibt eine Tür meist geschlossen – die ins Schlafzimmer. Als Herlinde Koelbl 2002 ihren Fotoband „Schlafzimmer“ veröffentlichte, erfuhr man endlich, wo Menschen ihre Nächte verbringen. Ein englisches Ehepaar präsentierte sich im Bett thronend mit Frühstückstablett, Aktenkoffer, Zeitungen und Hund. Wolfgang Joop rekelte sich für die Kamera dagegen entspannt im Schlüpfer auf dem Bett.

Natürlich durfte das Foto von Joops knallig rot-weiß gestreiftem Schlafzimmer nicht fehlen in der Ausstellung, für die Herlinde Koelbl nun eigens nach Stuttgart gereist ist. An diesem Donnerstag wird die erfolgreiche Fotografin achtzig Jahre alt. Deshalb widmet der Kamerahersteller Leica ihr eine Ausstellung in seinem neuen Shop mit angeschlossener Galerie in der Stuttgarter Calwer Straße. „Mein Blick“ nennt sich die erste Ausstellung, die einen Querschnitt durch Koelbls Werk präsentiert.

Ihre Serie zum deutschen Wohnzimmer hat Koelbl bekannt gemacht

Die kleine Schau in dem schön hergerichteten Gewölbekeller macht bewusst, wie vielfältig Herlinde Koelbl ist. Sie porträtierte nackte Männer und starke Frauen, die Hände von Literaten wie Martin Walser, aber auch Flüchtlinge oder „Feine Leute“. 1980 wurde sie bekannt mit ihrem Bildband „Das deutsche Wohnzimmer“, der nicht nur verschiedene Geschmäcker spiegelte, sondern tief in die Seele der Nation hineinleuchtete.

Die meisten Fotografen kultivieren eine persönliche Handschrift, um wiedererkennbar zu sein. Herlinde Koelbl nicht. Ihr Genre ist die Langzeitstudie. Ihre Projekte haben oft Jahre in Anspruch genommen. „Ich nehme mir für meine eigenen Projekte viel Zeit“, erzählt sie nun in der Leica-Galerie, „Zeit ist eine Notwendigkeit, um tief in ein Thema einzusteigen.“ Als sie sich etwa Haaren widmete, arbeitete sie sich intensiv in Kunst- und Kulturgeschichte ein. Wenn in der Ausstellung nun das Foto eines geflochtenen Zopfs hängt, erinnert er auch an die Rollenbilder, Konventionen und religiösen Normen, die in der Geschichte mit Frisuren verbunden wurden.

Die Fotografien hat lange als Modedesignerin gearbeitet

„Jedes Projekt ist eine neue Herausforderung“, sagt Herlinde Koelbl, „und jedes Mal führt es zu einem anderen Stilmittel.“ Vermutlich ist das auch das Rezept, weshalb Koelbl, der ein fröhlicher Schalk aus den Augen blitzt, mit ihren nun achtzig Jahren so frisch und munter wirkt. „Es schleicht sich bei mir Gott sei Dank keine Routine ein, weil ich immer neue Projekte mache – und zwar ganz gegensätzliche. Ich kann also gar nicht müde oder träge werden.“

In fröhlich-roten Turnschuhen ist die Münchnerin zur Eröffnung ihrer Stuttgarter Ausstellung gereist – und man sieht ihre Liebe zur Mode. Denn von Haus aus ist Herlinde Koelbl Modedesignerin. Sie wurde 1939 in Lindau geboren und machte Anfang der 1960er Jahre schnell Karriere als Modedesignerin in leitender Position. Sie hat zwar immer wieder ihre vier Kinder fotografiert, aber erst Mitte der siebziger Jahre, als sie schon fast vierzig war, widmete sie sich professionell der Fotografie.

Schon bald arbeitete Herlinde Koelbl für den „Stern“, die „Zeit“ und die „New York Times“, ihre Leidenschaft galt aber immer den eigenen freien Projekten. In „Jüdische Porträts“ (1989) versuchte sie sichtbar zu machen, welche Spuren der Holocaust hinterlassen hat in den Gesichtern von Überlebenden wie George Tabori, Marcel Reich-Ranicki, Grete Weil oder Norbert Elias. Sie hat viele Prominente fotografiert, Woody Allen oder Elfriede Jelinek. Oft färbt der Ruhm mächtiger Menschen auf Fotografen ab und macht diese selbst zu Stars. Herlinde Koelbl hat sich ihren Ruf dagegen selbst mit ihren Sozialstudien erarbeitet. Denn sie versteht es nicht nur, Menschen zu zeigen, sondern betreibt mit der Kamera auch Feldforschung, weshalb sie auch als „Ethnografin mit der Kamera“ bezeichnet wird.

Ihr wichtigstes Werkzeug ist Zeit

Entgegen allen Trends nimmt sich Herlinde Koelbl Zeit. Ihr längstes Projekt zog sich über sieben Jahre hinweg. Von 1991 bis 1998 fotografierte und interviewte sie jährlich mehr als ein Duzend Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft: Angela Merkel, Gerhard Schröder oder auch Frank Schirrmacher. „Spuren der Macht“ sollte „die Verwandlung der Menschen durch das Amt“ zeigen. Schröder zeigte sich zu Beginn der Serie selbstbewusst, später wirkt er wie ein gebrochener Mann. Bei Angela Merkel ist es Koelbl gelungen, auch den Menschen jenseits der politischen Funktion zu zeigen.

Letztlich habe sie es immer geschafft, die Modelle zu öffnen, auch wenn es bei Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen, nicht immer einfach sei. „Da braucht es Zeit, bis die Maske fällt“, sagt Herlinde Koelbl, der jeglicher Voyeurismus fremd ist. Nicht sie öffnet die Türen zu Wohnzimmern und Schlafzimmern, sondern bringt die Porträtierten dazu, sich von sich aus zu zeigen.

Natürlich arbeitet Herlinde Koelbl heute mit der Digitalkamera – einer Leica. Durch die Handys werde die Fotografie oberflächlicher. Sie meint das nicht kulturpessimistisch, das allzu Leichte werde auf längere Sicht ohnehin wieder verschwinden. „Bilder, die bleiben, haben einen Widerhaken“, sagt Herlinde Koelbl – und hat selbst viele Fotografien mit Widerhaken geschaffen, die als Ikonen die Zeit überdauern werden.