Die Corona-Krise verändert die Lebenswelt von Senioren in Pflegeheimen gravierend. Foto: Archiv (dpa)

Sich auf Unbekanntes einlassen
ist eine wichtige und hilfreiche Strategie in der aktuellen Situation.

Steinheim - Solange ich denken kann, hat meine Mutter Hummeln im Hintern. Immer in Kontakt mit anderen, immer auf der Achse für andere. Nur nicht allein sein. Inzwischen ist sie 87 Jahre alt. Das Laufen fällt immer schwerer und das ein oder andere Zipperlein plagt – mal mehr, mal weniger. Und dennoch vergeht kein Tag, an dem sie mit ihrem Rollator nicht durch Steinheim wackelt. Da ein Gespräch auf der Straße, hier ein Plausch beim Einkaufen für sich und andere. Und jetzt? Jetzt ist der Aktionsradius auf die 60 Quadratmeter große Wohnung und die paar Schritte bis zur Mülltonne beschränkt. Montags, donnerstags und freitags wird sonst Karten mit anderen gespielt. Daheim, im Bürgertreff, bei Freunden. Stundenlang. Und jetzt? Nichts. Es bleibt der Weg zur Mülltonne. Das Einkaufen übernehmen wir. Das Telefon ist so gut wie der einzige Draht zur Außenwelt und beinahe jeden Tag kann ich auf die Frage, wann der Spuk vorbei ist und sie endlich wieder ihre Enkel sieht, keine Antwort geben.

Meine Mutter ist kein Einzelfall. Dessen bin ich mir bewusst. Im Gegenteil. Die Omas und Opas, die Mamas und Papas, die in Pflegeheimen untergebracht sind und die weder von Familie noch von Bekannten besucht werden dürfen, muss die Einsamkeit noch viel mehr erdrücken. Es ist hart. Für alle. Aber als Schutzmaßnahme unumgänglich. Wie war das noch? Der Kopf sagt ja, das Herz sagt nein?

Und doch gab es auch in der vergangenen Woche viele Lichtblicke. Es sind ja oft die ganz kleinen Aktionen, die besonders berühren. Zumindest mich. Wie etwa die von Christine Löbner-Stark. Die Erdmannhäuserin wohnt direkt gegenüber vom Kleeblatt-Heim und kam auf die Idee, ihre älteren Nachbarn durch ein abendliches Singen zu erfreuen. Mit der Musiklehrerin Karin von Rosen hatte sie sich vergangenen Montag an zwei Fenster ihrer Wohnung gestellt und vier bekannte Abendlieder gesungen. Oder die Aktion der Pfarrerin Annegret Weigl, die Kinder einlädt, kleine Osterpräsente für die alten Menschen zu basteln und zu malen. Der Sammelkorb vor dem Pfarramt wird täglich bestückt. Beides sind herzergreifende Beispiele aus Erdmannhausen. Doch es gibt sie überall. Danke dafür.

Wir Jüngeren haben es da um einiges leichter, indem wir die Vorzüge der Technik nutzen. Wir haben die Möglichkeit des virtuellen Treffens per Video für uns entdeckt. Das, was im Beruf super funktioniert – siehe Leserforum zur Erdmannhäuser Bürgermeisterwahl – nutzen wir inzwischen so oft es geht mit Familie und Freunden privat. Morgen legen wir noch eine Schippe drauf und testen mit Freunden zum ersten Mal einen virtuellen Kaffeenachmittag. Der Kaffeetisch wird in Rielingshausen und in Kirchberg gedeckt und los geht’s mit der Videoschaltung.