Florian Straus soll sie die Vorgänge im ehemaligen Kinderheim St. Josef in Hoheneck aufarbeiten. Foto: factum/

Der Heimskandal in Hoheneck wird nun zwei Jahre lang erforscht. Der Fall ist bundesweit bedeutsam, weil arme Kinder untergebracht waren – und seelische Misshandlung von Heimkindern bislang wenig beachtet wurde.

Ludwigsburg - Die Untersuchung des Hohenecker Heimskandals bekommt nun eine neue Qualität: Das Münchner Aufklärungsinstitut IPP wird über zwei Jahre hinweg eine Studie erstellen. „Bislang ist in der Forschung der Aspekt von psychischer Gewalt und seelischer Vernachlässigung zu kurz gekommen“, sagt der IPP-Leiter Florian Straus, der auch die Missbrauchsfälle am Kloster Ettal und an der Odenwaldschule untersucht hat.

Und noch etwas ist am Fall des Josefsheims auf dem Klostergelände Hoheneck anders als bei den bundesweit bekannten gewordenen Fällen: Es handelte sich nicht um privilegierte Kinder auf einer Eliteschule, sondern um Babys oder Kleinkinder aus armen oder überforderten Familien. „Sie sind in einer Phase ins Heim gekommen, in denen sie besondere Fürsorge benötigt hätten“, so Florian Straus am Freitag bei einer Pressekonferenz in Hoheneck, „doch das Josefsheim verstand sich eher als eine Verwahranstalt.“

Was wird untersucht?

Jetzt soll jeder Stein umgedreht werden. Die Münchner Aufklärer wollen rund 80 mehrstündige Interviews mit ehemaligen Heimkindern, Mitarbeitern, Schwestern des Karmelitinnen-Ordens als Träger des Heims, Praktikantinnen oder dem Jugendamt führen. „Wir wollen alle befragen, sogar den Hausmeister“, sagt Straus.

Auch Akten sollen durchsucht und abgeglichen werden. Straus: „Erfahrungsgemäß finden wir im Lauf des Aufklärungsprozesses viel mehr Akten, als uns anfänglich in Aussicht gestellt werden.“ Untersucht werden auch die langfristigen Folgen von Gewalt, Misshandlung und seelischer Grausamkeit bei den ehemaligen Bewohner des Josefsheims. Im Sommer 2021 soll der Abschlussbericht vorliegen. In einer Begleitgruppe sollen Vertreter der Heimkinder eingebunden werden.

Welche Rolle spielt der Orden

Verstärkt soll auch die Frage ins Auge gefasst werden, welche Verantwortung der katholische Schwesternorden der Karmelitinnen als Träger des 1992 geschlossenen Kinderheims hatte. „Es gab mindestens zwei bis drei Beispiele, bei denen eine Aufdeckung möglich gewesen wäre“, sagt Straus. Geklärt werden soll, ob nur einzelne Personen für Prügel, Misshandlung und demütigende Strafen verantwortlich waren, oder ob die Hierarchien oder die Institutionen dieses begünstigt haben.

Was sagen katholische Amtsträger?

Die Fäden laufen bei Schwester Edith Riedle zusammen, die nicht nur das Hohenecker Karmelitinnen-Kloster leitet, sondern auch Generalvikarin der weltweiten Ordensleitung in Holland ist. „Wir wollen eine umfassende und vollständige Aufarbeitung der Vorgänge“, sagt sie. Die Vorwürfe machten sie sehr betroffen: „Das setzt mir zu.“ Der Schwesternorden, der weltweit noch rund 350 Mitglieder hat, davon acht in Hoheneck, untersucht nun alle Kinderheime und Kindergärten, die er noch betreibt.

Lesen Sie hier, um welche Vorwürfe es geht

Sie befinden sich vor allem in Brasilien, den USA und Afrika. Man habe eine Mitarbeiterin engagiert, um das pädagogische Konzept zu überarbeiten. Zudem werde es für die Opfer Entschädigungszahlungen gehen, wie Riedle ankündigt: „Es geht dabei um Anerkennung.“

Was ist mit sexuellem Missbrauch?

Die Vorwürfe des ehemaligen Heimkindes Silvia Gerhardt und anderer, die von regelmäßigem sexuellen Missbrauch nach der Beichtstunde in Hoheneck durch einen Pfarrer sprechen, werden ebenfalls mit untersucht – und ob die Ordensschwestern davon Kenntnis hatten. Brigitta Negwer vom Ludwigsburger Dekanat erklärt: „Bislang liegen uns dazu keine Berichte vor.“ Sogar der Bischof in Rottenburg hat das Thema auf dem Tisch, kann die Vorwürfe bislang aber nicht nachvollziehen. Die IPP-Aufklärer wollen herausfinden, wer zu welchem Zeitpunkt in Hoheneck als Geistlicher eingesetzt war und dies mit den Aussagen vergleichen.