Der 71-jährige Allgemeinmediziner Walter Mast (links) arbeitet seit 1980 in Althütte. Nun freut er sich, dass Benjamin Tscheuschner seine Praxis übernimmt. Foto: Gottfried Stoppel

Der 35-jährige Arzt Benjamin Tscheuschner übernimmt die Hausarztpraxis von Walter Mast (71) in Althütte mitten im Schwäbischen Wald. Er will ganz bewusst draußen auf dem Lande arbeiten, das ist ziemlich ungewöhnlich.

Althütte - Benjamin Tscheuschner hatte eigentlich vor, in der großen Gemeinschaftspraxis in Ludwigsburg-Oßweil zu bleiben, in der er seit rund eineinhalb Jahren arbeitet. Ludwigsburg ist eine schöne Stadt mit einem großen kulturellen Angebot. Doch jetzt hat sich der 35-jährige Allgemeinmediziner entschlossen, die Hausarztpraxis von Walter Mast in Althütte zu übernehmen. Seine Kollegen in Ludwigsburg waren doch ein bisschen überrascht ob dieser Entscheidung, denn viele junge Ärzte meiden die Provinz.

Der 71-jährige Walter Mast ist schon seit 1980 Landarzt in der kleinen Gemeinde Althütte im Schwäbischen Wald. Er habe ohnehin in nächster Zeit einen Nachfolger suchen wollen, erzählt er. Deshalb sei ihm der Anruf von Benjamin Tscheuschner ganz gelegen gekommen. Der junge Mann, der in Tübingen Medizin studiert hat, lebt mit seiner Frau und zwei kleinen Kindern in Kaisersbach, nur einen Katzensprung entfernt von Althütte. Er habe sich gefragt: „Was will ich?“ Täglich zweimal etwa 40 Minuten lang Auto fahren, um zur Arbeit und wieder heim zu gelangen? Den ganzen Tag weg sein von der Familie? Oder lieber morgens, mittags und abends die Kinder sehen?

Walter Mast arbeitet noch ein bisschen weiter

Eine eigene Praxis in der Nähe von Kaisersbach – das wäre eine tolle Option, so dachte er. Tscheuschner erzählt grinsend, er habe deshalb im Internet recherchiert, welche Kollegen womöglich über den Ruhestand nachdenken. Er habe Walter Mast gefunden – und diesen frech angerufen. Die beiden Mediziner waren sich offenbar schnell einig. Benjamin Tscheuschner übernimmt die Praxis Anfang Oktober. Walter Mast arbeitet zunächst noch halbtags zusammen mit seinem Nachfolger, später dann noch eine Zeit lang zu 25 Prozent. Die rund 1100 Patienten wissen, dass ihr langjähriger Arzt nicht von heute auf morgen weg ist, sie können langsam mit dem Nachfolger warm werden.

Die Gemeinde Althütte baut im nächsten Jahr im Ort ein Ärztehaus. Das habe ihn in seiner Entscheidung bestärkt, sagt Tscheuschner. Der Bürgermeister Reinhold Sczuka erklärt, dass der Neubau mitten im Flecken die medizinische Versorgung im Ort langfristig sichern solle. In dem Gebäude werden die Praxis des neuen Hausarzts sowie eine Zahnarztpraxis unterkommen. Benjamin Tscheuschner sagt, der Hauptgrund für die Entscheidung pro Althütte sei die Nähe zum Wohnort gewesen. Er sei aber froh, dass „die Gemeinde hinter mir steht“.

Spiegelberg hat keinen Hausarzt mehr

Vielerorts ist es nicht so einfach, einen Nachfolger für einen Landarzt zu finden, der in den Ruhestand gehen will. In Spiegelberg zum Beispiel gebe es keinen Hausarzt mehr, sagt Wolfgang Steinhäußer, der Vorsitzende der Ärzteschaft Backnang. Interimsweise habe ein Hausarzt aus Wüstenrot stundenweise in Spiegelberg Sprechstunde gehalten, dieser Mediziner habe seine Arbeit dort aber wieder eingestellt.

Viele Hausärzte im Land sind 60 Jahre oder älter. In nächster Zeit müssen deshalb vielerorts Nachfolger gefunden werden. Steinhäußer sagt, er gehe davon aus, dass das noch schwieriger werden könnte.

Diese Einschätzung bestätigt die Landesärztekammer: „Die Talsohle des Ärztemangels“ sei noch nicht erreicht. Eine Sprecherin der Kassenärztlichen Vereinigung erklärt auf Anfrage, dass fast alle sogenannten Mittelzentren in der Region offen stünden für Hausärzte, die sich niederlassen wollen, einzig Kirchheim im Landkreis Esslingen sei gesperrt, weil es dort genügend Hausärzte geben.

Gemeinden stehen in heftiger Konkurrenz

Die Bürgermeister kleiner Gemeinden stünden in heftiger Konkurrenz untereinander, sagt Wolfgang Steinhäußer. Die meisten Hilfsangebote von Kommunen, etwa bei der Suche nach einer Wohnung oder nach einem Job für den Lebenspartner, seien aber leider keine Kriterien, die einen Jungmediziner davon überzeugten, sich auf dem Land niederzulassen. Wenn sich ein Arzt für eine Praxis auf dem Lande entscheide, dann fast immer wegen der persönlichen Verbundenheit mit der Region.

Walter Mast sagt, er könne jungen Medizinern guten Gewissens raten, sich auf dem Lande niederzulassen. Im Vergleich zu früher sei er zeitlich weit weniger gefordert. Am Anfang seines Berufslebens sei er fast rund um die Uhr für seine Patienten erreichbar gewesen. Heute öffne die Notfallpraxis in Winnenden mittwochs und freitags schon um 14 Uhr, an allen anderen Tagen um 18 Uhr. Früher habe er mindestens einmal im Monat Wochenenddienst geschoben. Heute müsse er nur noch ein paar Mal in Jahr ran, und er könne sich von solchen Diensten sogar frei kaufen.

Benjamin Tscheuschner sieht das offenbar ganz ähnlich und sagt deshalb schon bald: tschüss Ludwigsburg, hallo Althütte.