Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Eine der wichtigsten Einrichtungen in der Innenstadt verliert seinen Chef: das Haus der Katholischen Kirche in der Stuttgarter Königstraße.

Stuttgart -

Herman Merkle leitet das Haus der Katholischen Kirche seit seiner Gründung im Jahr 2008. Nach neun Jahren verlässt er sein „Kind“ und hat einiges zu erzählen.

Herr Merkle, im Haus der Katholischen Kirche trifft man auf das pralle Leben. Wie oft sind Sie hier mit Menschen aneinander geprallt?
Bei uns muss man keine Schwelle überwinden, um hier zu sein. Daher trifft man alles und jeden, den man auf der Königstraße trifft, auch bei uns. Und gelegentlich müssen wir dafür auch einen Preis zahlen.
Zum Beispiel.
Wenn man das so radikal offen gestaltet, erlebt man nicht nur schöne Szenen. Zum Beispiel jetzt in der kalten Jahreszeit. Da gibt es gelegentlich Menschen, die sich den ganzen Tag hier aufhalten, weil es keinen anderen warmen Ort für sie gibt.
Wie schaffen Sie diesen Spagat, dass sich gleichzeitig der Banker beim Kaffee und der Wohnsitzlose in ihrem Haus wohlfühlen?
Weil wir Grenzen setzen, wenn es zu viel wird. Da sagen wir schon, dass es jetzt Zeit wird, mal wieder zu gehen. Mitunter müssen wir aber auch rigoros sein, wenn es mit Besuchern, die psychisch angeschlagen sind, zu Konflikten kommt. Im Extremfall müssen wir dann von unserem Hausrecht Gebrauch machen. Aber diese Fälle lassen sich in den neun Jahren an einer Hand abzählen. Und meistens lässt sich alles im Gespräch lösen.
Was ist das Symbol Ihres Hauses?
Zum einen sicher unser großer Eichentisch, an dem jeder Platz nehmen kann. Ganz ohne Verzehrzwang. Hier kommen die unterschiedlichsten Menschen ins Gespräch, die sonst nichts miteinander zu tun haben. Aber es gibt noch etwas.
Meinen Sie den Raum der Stille?
Den natürlich auch. Aber daneben ist es dieser nahtlose Übergang zur Domkirche. Diese Pforte erzeugt immer wieder Aha-Erlebnisse und weckt Interesse. Viele finden so einen Weg in die Kirche, den sie sonst nicht gefunden hätten. Das ist das Einzigartige an diesem Haus: Hier kann ich völlig problemlos in Kontakt mit Kirche kommen. Wir sind ein Portal zu dem, was Kirche bietet. Und das sechs Tage in der Woche.
Das scheint heute wichtiger denn je.
Ja, die Hälfte aller Stuttgarter gehört nicht mehr einer der beiden Volkskirchen an. Umso wichtiger werden solche Einrichtungen, wo jeder, also auch derjenige ohne kirchliche Sozialisation, kommen und fragen kann. Das erleben wir täglich. Solche Leute würden nie in ein Pfarrhaus gehen und fragen, was katholische Kirche tut und ist.
Die Konzeption eines offenen Hauses mit Cafe und Buchladen ist demnach aufgegangen, Stuttgarter nehmen diesen Platz in der City wahr. Was läuft nicht so gut?
Wir sind inzwischen auch ein Veranstaltungszentrum. Wir hatten mit 300 Veranstaltungen geplant, von Anfang an waren es 1300 pro Jahr. Da könnten wir ein, zwei Räume mehr gebrauchen.
Wollen Sie hier missionieren?
Die Gefahr sahen manche zu Beginn. Aber an 300 Tagen im Jahr merken Sie auf den ersten Blick nicht, dass Sie in einem katholischen Haus sind. Wir wollen nicht missionierend auftreten. Das gibt es auf der Königstraße zu Hauf. Von den Zeugen Jehovas, über die Scientologen bis hin zu den Hare-Krishna-Leuten. Wir verstehen uns als missionarisch, nicht als missionierend.
Wo ist der Unterschied?
Missionarisch heißt, da zu sein, präsent und ansprechbar zu sein. Genau das erleben wir tagtäglich an unserer Info-Theke.
Was wollen die Leute dort wissen?
Ach, ganz Alltägliches. Zu welcher Gemeinde man gehört, wo man einen Kindergartenplatz oder einen Pflegeplatz bekommt. Es gibt aber auch die Frage: wie betet man?
Laden auch manche ihren Ballast ab?
Ja, klar. Als die Missbrauchsskandale hochgekocht sind, mussten wir uns einiges anhören. Auch die Kirchensteuer ist oft Thema. Aber dafür sind wir ja da.
Manche sagen: Wenn es das Haus der Katholischen nicht gebe, müssten man es erfinden.
Da will ich nicht widersprechen (schmunzelt). Nicht umsonst gibt es in fast jeder größeren Stadt so ein Konzept. Aber ich glaube sagen zu dürfen, dass unser Haus eines der größten und vielschichtigsten ist. Aber das Wichtigste ist wohl unsere Lage. Inzwischen sagen alle Katholiken der Stadt: Das ist unser Haus.
Um das Sie auch die evangelischen Brüder und Schwestern beneiden.
Das habe ich auch schon gehört. Es war Fügung, dass wir hier vor neun Jahren gelandet sind. Und so wie sich dieses Haus mitten in der Stadt entwickelt hat, ist es für Menschen eine wichtige Anlaufstelle und ein Ort der Begegnung.
Wenn jemand auf die Idee käme, so eine Anlaufstelle zu eröffnen, mit welchem Budget müsste er planen?
Unterm Strich bleibt ein sogenannter Abmangel von rund 170 000 Euro übrig. Aber eigentlich ist dieses Haus der katholischen Kirche unbezahlbar. Gerade in der heutigen Zeit. Hier findet Diskurs statt. Schauen Sie sich nur das Programm des Katholischen Bildungswerkes an. Hier setzt sich Kirche mit der Lebenswirklichkeit der Menschen aus. Hier setzen wir uns mit unserem christlichen Sinnangebot aus – auch in Abgrenzung zu anderen. Wir brauchen auch diesen Dialog mit Menschen, für die Religion keine große Rolle im Leben spielt. Alle Lebensfragen haben hier einen Ort.
Bei so viel Offenheit – was ist da noch das Katholische an diesem Haus?
Genau auf diese Frage bekommen Sie oder die 12000 Menschen, die hier pro Stunde in der Spitze vorbeilaufen, im Haus der Katholischen Kirche Antwort.