Wer am Mittwoch zur Siemens-Hauptversammlung wollte, musste ein Spalier aus protestierenden Mitarbeiter passieren. Foto: AFP

Bei der Siemens-Hauptversammlung hagelt es Kritik. Sogar Aktionäre, die normalerweise auf das Thema Rendite fixiert sind, mahnen den Konzern zur Mäßigung, wenn es um Werksschließungen geht. Auch der Auftritt von Siemens Chef Kaeser beim US-Präsidenten Trump löst Verärgerung aus.

München - Es war schon auf den ersten Blick keine Hauptversammlung wie andere. Wer zum Veranstaltungsort der diesjährigen Siemens-Hauptversammlung in die Münchner Olympiahalle wollte, musste durch ein Spalier von gut 200 gegen Stellenabbau und Werksschließungen protestierenden Siemensianern gehen. Bei denen kam nur einmal gute Stimmung auf, als sie von 35 am Freitag in Görlitz losgefahrenen Kollegen per Rad passiert wurden. Görlitz ist einer jener Gasturbinen-Standorte, die vor dem Aus stehen, was allein in Deutschland 3500 und weltweit das Doppelte an Stellen kosten soll.

Das hat auch in der Olympiahalle kritische Töne provoziert. Zu erwarten war das Verhalten zweier Mitarbeiter-Aktionärsvereine, die Siemens-Chef Joe Kaeser und der für das Kraftwerksgeschäft zuständigen Vorstandsfrau Lisa Davis die Entlastung verweigerten. Bei insgesamt rund vier Prozent Kapitalanteil blieb das folgenlos. Weniger absehbar waren Rügen von Aktionärsschutzvereinen, die sonst eher auf die Rendite starren. „Suchen Sie eine andere Lösung“, forderte eine Vertreterin aus diesem Lager und erntete damit lautstarken Beifall. Der wurde nur noch übertroffen, als sie auf Kaesers jüngstes Zwiegespräch mit US-Präsident Donald Trump beim Weltwirtschaftsforum in Davos zu sprechen kam. Dort hatte Kaeser versprochen, eine neue Generation von Gasturbinen in den USA zu entwickeln. „Diese Äußerungen sind nicht geeignet, die Wogen zu glätten“, meinte die Aktionärin.

Am Rande des Aktionärstreffen präsentiert Kaeser ein Überlebenskonzept

Wirkungslos blieb die geballte Protestfront offenbar nicht. Denn in Abweichung vorbereiteter Redetexte und eher am Rande der Hauptversammlung präsentierte Kaeser vor Journalisten etwas, das man ein Überlebenskonzept für Görlitz nennen könnte. Kaeser selbst sprach von einem übergreifenden „Industriekonzept Oberlausitz“. Kaeser stellte eine Industrieansiedelung auf dem Gelände des Siemens-Werks in Görlitz in Aussicht. Das könne noch für ein bis drei Jahre Gasturbinen produzieren, bis das Industriekonzept stehe, an dem sich auch die Politik beteiligen müsse. Denkbar seien dann die Fertigung von Batterien oder anderen Stromspeichern für erneuerbare Energien. Beschlossen ist auch mangels neuer Bundesregierung aber bislang noch nichts.

Auch Beschäftigten in anderen von Abbau oder Werkschließung betroffenen Siemens-Standorten macht Kaeser leise Hoffnung. In den bis zu fünf Jahren, die für die Schließungen vorgesehen sind, werde Siemens in Deutschland bis zu 14 000 neue Jobs schaffen. „Damit haben wir die Möglichkeit, für die meisten der Betroffenen per Requalifizierung neue Perspektiven zu schaffen“, erklärte der Konzernchef.

Betriebsräte und IG Metall zu Sondierungen bereit

Nachdem sich Betriebsräte und IG Metall monatelang geweigert hatten, über die Kahlschlagpläne zu sprechen, gibt es jetzt zumindest erste Sondierungsgespräche. Das lasse auf eine „gute Einigung“ hoffen, meinte Siemens-Personalchefin Janina Kugel vorsichtig. Sie hofft auf eine Einigung in diesem Sommer. Gewerkschafter sind zurückhaltender. „Das kann auch 2019 werden, noch wird nur sondiert und an keinem Standort in der Sache verhandelt“, betonte ein Vertreter der IG Metall.

An der grundsätzlichen Notwendigkeit zu drastischen Änderungen im Kraftwerksgeschäft ließ das Management keinen Zweifel. Die operative Gewinnmarge vor Zinsen und Steuern sei dieser einstigen Vorzeigesparte im ersten Quartal des Anfang Oktober endenden Geschäftsjahrs 2017/18 von 12,0 auf 7,6 Prozent gesunken bei gleichzeitig 15 Prozent Umsatzrückgang. In diesem Stil werde das noch einige Zeit weitergehen, warnte Siemens-Finanzchef Ralf Thomas vor. Das Kraftwerksgeschäft stehe vor einem Paradigmenwechsel weg von großen Gasturbinen, hin zu dezentraler erneuerbarer Energie, betonte Kaeser. Technologische Umbrüche dieser Dimension dürfe und werde Siemens nicht erneut verschlafen wie seinerzeit in der Telekommunikation, die heute nicht mehr zu den Siemens-Geschäften zählt. Grundsätzlich bescheinigte der Obersiemensianer seinem Konzern aber, heute so gut wie nie dazustehen.