Der Sozialpsychologe Harald Welzer. Foto: dpa

Harald Welzer hat bei Wieland Backes seine Kritik an der Digitalisierung erläutert. Der Sozialpsychologe sieht im digitalen Zeitalter eine „smarte Diktatur“ heraufziehen, zu der wir mit jedem Klick einen Beitrag leisten. Aber was tun?

Stuttgart - Das Ende der Welt, wie wir sie kannten“, lautet der Titel eines Buchs, das der Sozialpsychologe Harald Welzer 2008 zusammen mit dem Politologen Claus Leggewie veröffentlicht hat. Er hätte auch als Überschrift über der Matinee im Stuttgarter Literaturhaus stehen können, wo Wieland Backes in seiner Reihe „Köpfe der Zeit“ diesmal Welzer zu Gast hatte. Aktueller Anlass war dessen neues, im Verlag S. Fischer erschienenes Buch „Die smarte Diktatur – Der Angriff auf unsere Freiheit“, in dem Welzer die mit der Digitalisierung einhergehenden sozialen Veränderungen zum Thema macht. Aber im Gespräch mit Backes wurde bald deutlich, dass Welzers Kritik am digitalen Zeitalter Teil einer viel grundsätzlicheren Kritik am Kapitalismus und der modernen Konsumgesellschaft ist.

Äußert sich da also der Vertreter einer elitären und technikfeindlichen konservativen Kulturkritik? Wieland Backes’ Rolle bestand darin, seinen Gesprächspartner mit solchen Fragen zu provozieren. Ob er vor 180 Jahren nicht mit ähnlichen Argumenten wie heute gegen das Internet auch gegen die Eisenbahn gewettert hätte, wollte er von Welzer wissen. Und später gegen das Auto oder das Fernsehen. Doch Welzer, der kein Smartphone besitzt, aber zugeben musste, sich sein Flugticket nach Stuttgart im Internet gekauft zu haben, ließ sich nicht beirren. Technik sei neutral, weder gut noch böse; entscheidend sei vielmehr, wie sie in soziale Prozesse eingreife und sie verändere.

Reden über Sex and Crime ersetzt politische Programme

Diese Veränderungen allerdings, darauf beharrte Welzer, seien heute schon empirisch beobachtbar. Die Digitalisierung habe den Raum des Sozialen schrumpfen lassen und dazu geführt, dass sich die Einzelnen immer stärker in eine Art digitalen Kokon einigelten. Die Auffassung, das Internet erweitere die demokratische Öffentlichkeit und die Chancen zur Mitbestimmung, teilt er überhaupt nicht. Im Gegenteil: Welzer sieht im digitalen Zeitalter eine „smarte Diktatur“ heraufziehen, zu der wir mit jedem Klick einen Beitrag leisten. Wenn alles aufgezeichnet und sofort ins Netz gestellt werden könne, verschwinde die Trennung von Öffentlichkeit und Privatsphäre, die für eine Demokratie unerlässlich sei. Das habe zur Folge, dass der Staat oder kommerzielle Unternehmen mehr über uns wissen als wir selbst. Und es führe zu jener Dauererregung und permanenten Skandalisierung, wie man sie im gegenwärtigen US-Wahlkampf oder in diversen Shitstorms beobachten könne: Das Reden über Sex and Crime habe das über politische Programme ersetzt.

Was also zu tun sei, wollte Backes von Welzer wissen. Der gab zu, außer seinem Verzicht auf ein Smartphone oder der Weigerung, online einzukaufen, noch ziemlich ratlos zu sein. Aber bisweilen sabotiere sich die moderne Technik ja selbst, wie das sich selbst verbrennende Samsung Galaxy gezeigt habe.