Flicks Mitternachts-Monolog öffnet viel Raum zur Interpretation. Foto: dpa/Franck Fife

War das eine Abschiedsrede nach dem Europa-Knockout in Paris? Flicks Mitternachts-Monolog öffnet viel Raum zur Interpretation. Logisch klingt diese: Den Sechs-Titel-Coach zieht’s im Sommer zum DFB auf Löws Posten. Ein „Minimalziel“ gilt es noch zu erfüllen.

Paris - Am vorzeitigen Schlusspunkt der langen Traumreise mit seinen Bayern-Jungs quer durch Europa brach es aus dem entthronten Trainer-Champion Hansi Flick einfach heraus. Der ganze Stress, der Dauerdruck, der Ballast interner Zwistigkeiten und die nicht mehr verhehlten Zukunftszweifel sprudelten nach dem spektakulären, aber nutzlosen 1:0 gegen Paris Saint-Germain wortreich nach außen.

Nach seinem bittersten Sieg im 80. Spiel als Bayern-Chefcoach stand der 56-jährige Flick aufgewühlt im leeren Prinzenpark und gewährte in einem mehr als vier Minuten dauernden Monolog vor der Sky-Kamera tiefe Einblicke in seine Gefühls- und Gedankenwelt. Die meisten Zuhörer verstanden sie spontan als eine Abschiedsrede.

Flick verbreitete in der Nacht nach dem K.o. im Viertelfinale der Champions League Endzeitstimmung, auch wenn „das Leben weitergeht“. Das heißt erst mal: Noch sechs Bundesligaspiele stehen bis zum 22. Mai an. Dann soll die neunte Meisterschaft am Stück als Single-Titel wenigstens für ein Mini-Happy-End nach dem Triple 2020 sorgen.

„Das ist unser Minimalziel. Mehr können wir leider diese Saison nicht mehr machen“, sagte Flick mit leerem Blick, ehe er sich aufrappelte: „Trauern ist heute okay, ab morgen muss der Fokus auf Wolfsburg sein, auch wenn es schwerfällt. Wir müssen schauen, dass wir am Samstag wieder funktionieren.“ Das gilt für die Spieler - und auch für ihn.

Gegen PSG fehlte nicht viel, aber doch Entscheidendes

Gegen PSG fehlte nicht viel, aber doch Entscheidendes. Das Tor von Eric Maxim Choupo-Moting war zu wenig. Die 2:3-Hinspielhypothek wog zu schwer, ebenso die prominente Ausfallliste. „Wir pfeifen ein wenig aus dem letzten Loch“, sagte der famos haltende Kapitän Manuel Neuer zu den großen Lücken, die sich im Luxuskader aktuell auftun. „Gerade in der wichtigsten Phase der Saison haben wir Lewandowski, Gnabry, Goretzka, Süle nicht zur Verfügung“, stöhnte Flick, „Spieler, die uns weitergeholfen hätten.“ Allein „viel Herzblut“, wie Thomas Müller anmerkte, genügte gegen ein Klasseteam wie das von PSG nicht.

Der K.o.-Hieb von Neymar und Kylian Mbappé wird Nachwirkungen haben. Aus dem Abwehrmodus der monotonen „Nächste Frage“-Antwort zur Zukunft brach der Sechs-Titel-Coach Flick am Dienstagabend aus. Er liebäugelte erstmals öffentlich mit dem Job von Bundestrainer Joachim Löw.

„Hansi Flick steht beim DFB ganz oben auf der Liste - und dann lange nichts“, sagte prompt Rekordnationalspieler und Sky-Experte Lothar Matthäus, dessen Name ja angeblich auch auf dem Papier stehen soll.

Das Bundestraineramt würde dem Familienmenschen und Opa Hansi „einen anderen Rhythmus“ bescheren, wie er nun selbst kundtat. Ein Rhythmus zwischen Länderspielen, Pausen und Turnieren, für die er ein Faible und Händchen hat, wie das triumphale Champions-League-Endturnier 2020 in Lissabon mit dem finalen 1:0 gegen PSG demonstrierte. Die Vorzüge des DFB-Postens kennt Flick aus acht Jahren als Löws Assistent.

Nach dem bemerkenswerten TV-Auftritt war Flick direkt danach in der Video-Pressekonferenz im ebenfalls menschenleeren Mediensaal der PSG-Arena bemüht, seine artikulierten Gedankengänge wieder ein wenig einzufangen. „Das steht einem auch zu, dass man nicht 30 Minuten nach dem Spiel seine ganzen Gedanken bei sich hat und über die Zukunft sprechen will“, sagte Flick. Hatte er also nur mal laut gedacht?

Flick offenbarte eine innerliche Zerrissenheit

Flick offenbarte eine innerliche Zerrissenheit. Sie ist Resultat der besonderen Belastungen dieser Corona-Saison. Dazu kommt der energiefressende Dauerzwist mit Sportvorstand Hasan Salihamidzic. „Er macht seinen Job, ich mache meinen Job“, sagte Flick schmallippig. Das ständige Nachbohren der Journalisten strengt ihn an, ebenso das ständige Streben nach Erfolg, der stete Drang nach Verbesserungen.

„Dass ich mir Gedanken mache über meine Zukunft, ich glaube, da hat jeder von Ihnen auch Verständnis“, sagte Flick. Alles kostet Kraft. „Wir haben mit den sechs Titeln auch einen Maßstab gesetzt - und das müssen wir auch weiter machen“, bemerkte Flick.

Das Wie hat die Bosse und ihn zunehmend voneinander entfernt. Es wäre nun an Oliver Kahn, dem künftigen Ober-Boss, nicht mehr im Hintergrund zu verharren, sondern Führungsanspruch und damit auch Führungsstärke zu demonstrieren. Karl-Heinz Rummenigge (65), Flicks wichtigster Unterstützer, ist am Jahresende weg, Kahn übernimmt.

Einen Gesprächstermin mit dem künftigen Vorstandschef Kahn bestätigte Flick nicht - aber: „Ich habe Zeit.“ Sie drängt - übrigens auch für Kahn und Salihamidzic, die federführend einen Flick-Nachfolger aus dem Hut zaubern müss(t)en. Könnte Julian Nagelsmann (33) aus Leipzig abgeworben werden? Das Titelduell der Clubs erhält weitere Brisanz.

Sechs Spiele mit Flick als Bayern-Coach bleiben definitiv noch. Als nationaler Champion könnte er dann Löw beerben. Dieses Szenario, das für Matthäus seit dem besonderen Fußballabend im Prinzenpark Fakt ist, drängt sich auf und ist doch keineswegs garantiert.

Flick hatte vor dem Rückflug des Bayern-Trosses aus dem sonnigen Paris am Mittwoch erst mal nur zwei Fakten geschaffen: Trotz seines Vertrages bis 2023 nimmt er sich die Freiheit heraus, seine Zukunft maßgeblich zu bestimmen, „egal, wie meine Entscheidung ausfällt“.

Und er will auch in der kommenden Saison eine Mannschaft anleiten. „Ich hänge an dem Trainer-Job, und deswegen kann ich mir auch nichts anderes vorstellen als diesen Beruf“, sagte er. Bayerns Problem ist, dass der Bundestrainer-Posten ausgerechnet jetzt frei wird. Und dass Flick sich als Nationalcoach nicht mehr mit Vereinsbossen und seinem Kontrahenten Salihamidzic in Kaderfragen herumstreiten müsste.

„Auch diese Mannschaft kann hervorragend Fußball spielen“, sagte Flick zu dem Reizthema. Er habe „null Kritik“ am aktuellen Kader geübt. Als Bundestrainer bräuchte er aber keinen Salihamidzic oder sonst wen mehr, der ihn ständig mit ihm genehmen Stars versorgt. Wie Löw hätte er dann die freie Auswahl aus allen deutschen Spielern. Und die meisten kennt Flick bestens, die meisten kommen ja aus München.