Der Göppinger Hans-Peter Gramlich hat sich in den Ruhestand verabschiedet. Foto: Horst Rudel

Er stammt aus kleinen Verhältnissen und hat eine steile Karriere gemacht. Für Hans-Peter Gramlich haben vor allem die kleinen Leute zu seiner Klientel gehört, aber auch alte, junge und kranke Menschen.

Göppingen - Er verantwortete mit 190 Millionen Euro den größten Einzeletat der Landkreisverwaltung und saß dabei bescheiden an einem der ältesten Schreibtische im ganzen Haus. Auch wenn der Sozialdezernent Hans-Peter Gramlich angesichts von 360 Mitarbeitern wie ein Manager eines mittelständischen Betriebs arbeitete, scheint er die Bodenhaftung nicht verloren zu haben. Pflichtbewusstsein und Fleiß sind ihm wohl von Kindesbeinen an im Elternhaus in Holzheim vorgelebt worden. Nun ist der 63-Jährige nach 39 Dienstjahren am Mittwochabend im Kreis von rund 300 Wegbegleitern mit einem Festakt der Landkreisverwaltung in den Ruhestand verabschiedet worden. Dabei soll es ganz schön gescheppert haben, war zu hören, denn die Wilhelmshilfeband Neuroleptika rockte den Hohenstaufensaal.

Über seine steile Karriere wundert er sich fast ein bisschen

„Früher wollte ich Amtmann werden, das war für mich das höchste der Gefühle“ beschreibt Gramlich seine Ambitionen zu Beginn seiner Laufbahn als Beamter. Dass er es schließlich bis zum Dezernenten für Jugend und Soziales brachte – und damit nicht nur in die einst angestrebte Gehaltsstufe A 11, sondern bis A 16 aufstieg, vergleichbar mit der Entlohnung eines Chefarztes, Dekans oder Generalkonsuls – das sei nicht vorgezeichnet gewesen.

Und wie er so frei heraus von seinem Werdegang berichtet, scheint sich Gramlich selbst über seine steile Karriere am meisten zu wundern. „Ich komme aus kleinen Verhältnissen“, beschreibt der Göppinger sein Elternhaus. Der Vater war ein kleiner Postbeamter und die Mutter verdiente mit dem Zeitungsaustragen ein Zubrot. Später pachteten die Eltern die Gaststätte des Turnerbunds Holzheim.

Gramlich freut sich auf mehr Zeit für die Großfamilie

Jetzt ordnet Gramlich im Göppinger Kreishaus seine Akten. „Übergabe“ steht auf einem an die Wand gehefteten Zettel, unter dem sich Unterlagen häufen. Es wird wohl ein geräuschloser Wechsel werden, schließlich fungiert Gramlichs Nachfolger Rudolf Dangelmayr bereits seit 1995 als rechte Hand des scheidenden Chefs. Seine Arbeit habe er gern gemacht, zumal in Zeiten gut gefüllter Kassen, doch angesichts der Riesenbelastungen seines Amtes durch die Geflüchteten sei seine Einsicht gereift, dass es Zeit für den Ruhestand sei, bekennt der achtfache Großvater, der sich auf mehr Zeit für Radtouren mit seiner Frau und Reisen mit der Großfamilie freut.

Zufriedenheit hat für ihn nicht zwingend etwas mit Reichtum zu tun

Ein spitzbübisches Lächeln huscht über Gramlichs Gesicht, als er seinen Schreibtisch, „wahrscheinlich der älteste im ganzen Haus“, vorführt. „Ich mag halt das alte Holz“ lobt Gramlich die Einrichtung in dem geräumigen Büro. Und weil die raue Kante vorne am Schreibtisch immer seine Krawatten zu verschleißen drohte, hat er das ausgefranste Furnier eines Tages mit einem stabilen Klebestreifen gesichert. Ähnlich pragmatisch, aber auch liebevoll muss es auch in Gramlichs Kindheit zugegangen sein: „Ich hatte das beste Elternhaus, das ich mir vorstellen kann“, erinnert sich der Spitzenbeamte. Und es ist gut möglich, dass Gramlichs Wertvorstellungen von den Eltern früh geprägt wurden. Einer seiner zentralen Leitsätze lautet jedenfalls so: „Ob jemand zufrieden ist oder nicht, lässt sich nicht über materiellen Reichtum definieren“. Und diese Einsicht decke sich mit zahlreichen Erfahrungen, die er während seines Berufslebens gesammelt habe.

Junge Familien bräuchten professionelle Hilfestellung

Von Amts wegen hatte Gramlich die Interessen der kleinen Leute zu vertreten. Zahlreiche freie Träger, die sich für Menschen mit Behinderung, Jugendliche und Senioren engagieren, zählten zu seinen Partnern. Als Chef des Kreissozial- und Kreisjugendamtes waren auch Hartz-IV-und Sozialhilfeempfänger seine Klientel. Eine leichte Schärfe nimmt Gramlichs Ton an, als er sich mit der Aussage konfrontiert sieht, dabei handle es sich wohl auch um gescheiterte Existenzen. Das bezeichnet er als Trugschluss, denn Erkrankungen, geringes Einkommen und andere Benachteiligungen müsse man als massive soziale Belastungen betrachten, die den Menschen zu schaffen machten. Hier könne man gar nicht früh genug mit professioneller Hilfestellung in den Familien beginnen.

„Die Weichen, die in den ersten zwei bis drei Jahren gestellt werden, gelten fürs ganze Leben“, lautet ein weiteres Gramlich-Credo. Und trotzdem könne man Erziehung nicht verordnen, offene Angebote wie die der Familientreffs seien deshalb so wertvoll. Gramlich plädiert übrigens auch für gebührenfreie Kindertagesstätten und bessere Löhne für Erzieherinnen, die einen „Super-Job“ machten.