1976 im Viertelfinale des Europapokals der Landesmeister gegen Slask Breslau: Heiner Brand, einer der Stars des VfL Gummersbach, auf dem Weg zum Tor. Foto: dpa

Eine Ära ist zu Ende: der große VfL Gummersbach steigt nach 53 Jahren aus der Handball-Bundesliga ab. In der zweiten Liga trifft der Club alte Bekannte aus vergangenen, großen Tagen. Wie konnte es so weit kommen?

Gummersbach/Bietigheim - Es ist nicht unüblich im Sport, dass sich Vereine ein Motto verpassen. Einen Slogan, der das Selbstverständnis ausdrückt. Der VfL Gummersbach bildet da keine Ausnahme. „Heimat des Handballs“ überschreibt der Traditionsverein Vergangenheit und Gegenwart. Das passt zu einem Club, der einst der Beste der Welt war: Der FC Bayern des deutschen Handballs wurde nicht nur zwölfmal Meister und fünfmal Pokalsieger, sondern holte auch elf große europäische Titel. Ob der Begriff „Heimat des Handballs“ allerdings auch für die Zukunft steht, ist eher fraglich. Der Dino ist tot. Oder zumindest weg. Abgestiegen aus der ersten Handball-Bundesliga – nach 53 Jahren Erstklassigkeit ist das Gründungsmitglied der Liga mal weg.

Der FC Bayern des Handballs – das war einmal: Nun ist der Club der Hamburger SV des Handballs.

Die Gummersbacher sind Opfer des dramatischen letzten Spieltages der Bundesliga, dem auch noch die Bietigheimer zum Opfer gefallen sind. Deutschlands Handball-Legende Heiner Brand, der seine gesamte Karriere lang in Gummersbach spielte, war bestürzt. „Es ist so gekommen, wie ich es befürchtet habe“, sagte der 66-Jährige. „Für Handball-Deutschland ist ein Verlust. Künftig fehlt ein ganz großer Name.“ Das Kellerduell in Bietigheim schaute er sich lieber nicht an. Aus Selbstschutz. „Die nervliche Belastung wäre mir zu hoch“, meinte Brand (66), der seit fast sechs Jahrzehnten VfL-Mitglied ist, vor dem Spiel.

Die Abwärtsspirale drehte sich schneller und schneller

Der Abstieg kommt alles andere als überraschend. Der letzte Titelgewinn liegt schon acht Jahre zurück, letztmals Meister war der VfL Gummersbach 1991. Seit über zehn Jahren plagen den Club große finanzielle Sorgen, immer wieder mussten Löcher gestopft werden. Kein Geld, keine Erfolge, noch weniger Geld, noch weniger Erfolge – die Abwärtsspirale drehte sich schneller und schneller, und dass sie nicht aufzuhalten war, lag auch daran, dass es immer wieder personelle Missgriffe gab. Folglich ist der ruhmreiche Verein schon länger nicht mehr gut genug für die obere Hälfte der Bundesliga, bereits in den beiden vergangenen Jahren wäre er beinahe abgestiegen. Jetzt ist es soweit, was Hansi Schmidt – neben Brand, Joachim Deckarm, Erhard Wunderlich oder Andreas Thiel eine der Clublegenden, ziemlich aufregt: „In den letzten Jahrzehnten sind gravierende Fehler gemacht worden“, sagt Schmidt, 76, „und zwar von Leuten, die meinen, viel mehr zu sein, als sie sind. Man hat sich auf altem Lorbeer ausgeruht.“ Der doch längst verwelkt ist. „Im sportlichen und wirtschaftlichen Bereich gab es einige Tendenzen, die sich durchgezogen haben“, sagt auch Brand.

Nun ist alles andere als ausgeschlossen, dass der VfL Gummersbach einen ähnlichen Weg vor sich hat wie TuSEM Essen oder der TV Großwallstadt. Das Trio machte von 1978 bis 1991 die deutsche Meisterschaft unter sich aus (einzige Ausnahme: Grün-Weiß Dankersen/1977), jetzt gibt es ein Wiedersehen in der zweiten Liga. Was Gerd Hofele mit gemischten Gefühlen betrachtet. Den Geschäftsführer von Frisch Auf Göppingen motiviert das Ziel, den Traditionsverein zu führen, der den Weg in die Moderne am erfolgreichsten beschreitet. Nun hat er wieder einen Konkurrenten hinter sich gelassen. Hofele sagt aber auch: „Der VfL Gummersbach ist immer noch eine starke Marke, deren Werte der Bundesliga Kraft gegeben haben.“ Das sieht Christoph Schindler ebenso.

Der Club verliert immer wieder hochkarätige Talente

Der frühere Kapitän des VfL Gummersbach ist seit Juli 2017 Sportchef des Altmeisters. Schindler (35) hat in dieser Zeit in Dirk Beuchler, Denis Bahtijarevic und Torge Greve schon drei Trainer beschäftigt, und es ist auch ihm nicht gelungen, ein vielversprechendes Team aufzubauen. Stattdessen verliert der VfL immer wieder hochkarätige Talente, darunter die Nationalspieler Julius Kühn, Paul Drux oder Simon Ernst. „Wir wollten am Ende dieser Saison besser dastehen, keine Frage“, sagte Schindler zuletzt der „FAZ“, „aber von müssen kann man nicht sprechen, weil der Verein in der Vergangenheit viele Fehler gemacht und mit Geld aus der Zukunft gelebt hat.“ Geld, das nun gefehlt habe. Schließlich schießt Tradition keine Tore. Die Historie des Vereins, meint Schindler, sei zugleich „Fluch und Segen. Segen, weil die Marke Gummersbach nach wie vor eine Riesenstrahlkraft hat. Und Fluch, weil alle Leute denken, dass so ein Verein doch besser dastehen müsste.“ Dabei steht er laut Schindler genau dort, wo er finanziell hingehöre. Was allerdings eine ziemlich geschönte Bilanz ist.

In der zu Ende gegangenen Saison arbeitete der VfL Gummersbach mit einem Etat von rund vier Millionen Euro. Damit befand er sich im hinteren Mittelfeld der Bundesliga, verfügte aber über mehr als doppelt so viele Mittel wie der Mit-Absteiger SG BBM Bietigheim. Aus Sicht des früheren Bundesliga-Trainers Rolf Brack ist deshalb klar, dass Fehler gemacht wurden. „Es gab zuletzt zu keiner Zeit personelle Kontinuität“, sagte der Experte schon vor dem finalen Spieltag, „das Tempospiel ist heute der zentrale Erfolgsfaktor im Handball. Den Trend, eine Abwehr mit schnellen, quirligen Rückraumspielern auszuhebeln, hat der VfL Gummersbach aber komplett verschlafen. Deshalb glaube ich auch nicht, dass es zum Klassenverbleib reicht.“ Brack behielt Recht.

Lizenz für die zweite Liga

Was nun kommt? Zumindest hat der letzte Bundesliga-Dino mittlerweile die Lizenz für die zweite Liga sicher. „Es gab viele Traditionsvereine, die gesagt haben, sie überleben einen Abstieg. Viele von diesen gibt es nicht mehr“, sagt Sportchef Schindler, „deswegen ist so ein Abstieg definitiv eine Gefahr. Aber ich würde nicht sagen, dass sie existenziell wäre.“ Und wenn doch? Dürfte der Verein nicht auf Mitleid hoffen. Zumindest nicht von Frank Bohmann. „Der VfL Gummersbach muss Schritt halten“, sagt der Bundesliga-Geschäftsführer, „oder er muss weichen.“ Auch wenn sich der Handball dann eine neue Heimat suchen müsste.