Vergangene Zeiten: Oßweil (hier bei einem Spiel im November 2005 gegen Gelnhausen) spielt in der 2. Bundesliga und macht Fans glücklich. Foto:Baumann/Archiv Foto:  

Der Ludwigsburger Stadtteil Oßweil war bekannt für seine TSG und deren Handballer. Dann kam eine spektakuläre Pleite – und seither spielt Oßweil sportlich keine Rolle mehr. Nun, lange nach dem Ende der Spielzeit, gibt es eine große Überraschung.

Ludwigsburg - Wer in Oßweil Handball spielen will, hat es als Jugendlicher nicht leicht. Mal findet das Training in Eglosheim statt, mal in Pflugfelden, mal ganz woanders. Dass sich die Mannschaft in der Halle treffen kann, die in Oßweil bequem zu erreichen ist, kommt relativ selten vor. Natürlich ist das Hallenpendeln kein exklusives Thema der Oßweiler. Allerdings ist es ein Thema, bei dem sich wohl kaum jemand vorstellen konnte, dass es in Oßweil einmal so weit kommen würde: Dass man zum Handballspielen den Ort verlassen muss. Oßweil war im Handball mal eine große Nummer. Heute ist das vor allem eines: Legende.

Der Niedergang begann im Herbst 2005. Mehr als 13 Jahre später wird die Erinnerung daran interessant – weil das, was die Misere ausgelöst hat, heute anders bewertet werden muss als damals.

Aus der großen Schuldsumme wurde eine kleine

Ausgelöst wird die Misere durch eine anonyme Anzeige, die im November 2005 zu Hausdurchsuchungen führt, im Juni 2007 zu einem großen Strafprozess am Landgericht und dann zur Pleite. Die TSG, so der zentrale Vorwurf, hat für ihre Profispieler Sozialabgaben hinterzogen, ebenso Steuern. Die Höhe des entstandenen Schadens wird im Prozess auf 1,1 Millionen Euro geschätzt. Rund 600 000 Euro bei den Sozialabgaben, rund 500 000 Euro bei den Steuern. Für die Klärung der exakten Summe ist das Finanzamt zuständig.

Nun, nach jahrelangen Verhandlungen zwischen den Verantwortlichen von einst und dem Finanzamt, ist die Angelegenheit geklärt: Die Steuersumme, die ehemalige Verantwortliche nachträglich überweisen müssen, beträgt 130 000 Euro – rund 370 000 Euro weniger als angenommen.

Was aus den Sozialabgaben wurde, lässt sich nicht verfolgen. Die AOK, bei der die meisten Spieler versichert waren, gibt mit Verweis auf den Datenschutz keine Auskunft. Vielleicht sei ein Teil der Summe später aus der Insolvenzmasse bezahlt worden, mutmaßt der einstige TSG-Vorsitzende Thomas Lutz.

Chaostage ohne Ende

Von denen, die sich damals vor Gericht verantworten mussten, möchte heute keiner mehr seinen Namen in der Zeitung lesen. Aber für die noch immer eingefleischten Fans ist klar: „Die TSG könnte es noch geben“, sagt etwa Dieter Osswald, der zu einer Gruppe gehört, die sich Initiativkreis TSG Oßweil nennt. Darüber zu spekulieren, ist müßig. Nachvollziehbar allerdings ist der Gedanke.

Auf die Durchsuchungen in Oßweil folgt im Sommer 2006 die Fusion mit den Handballern des damaligen TV Kornwestheim. So soll eine Mannschaft entstehen, die dauerhaft mindestens in der zweiten Liga spielt – und zur Auslastung der Ludwigsburger Arena beiträgt. Die ist damals noch nicht gebaut, doch die Entscheidung steht bevor – und ein potentes Handballteam ist ein gutes Argument für den Bau. Der Aufschrei bei den Fans beider Vereine ist gewaltig: Die beiden Erzrivalen verkuppeln – das geht gar nicht! Nach langem Hin und Her geht es dann doch: Am 9. September 2006 bestreiten die Handballer der neuen Spielgemeinschaft HBR Ludwigsburg – HBR steht für: Handball Regio – in der Ludwigsburger Rundsporthalle ihr erstes Spiel. Die erzwungene Ehe hält nicht lange. Nach wenigen Spielen entscheidet der Kornwestheimer Teil der HBR in der folgenden Saison nach Stuttgart zu wechseln – wo damals noch die Porsche-Arena um eine höhere Auslastung kämpft.

Die Angeklagten widersprechen bis zum Schluss

Dass es zu diesem Gastspiel nie kommt, weil die Kornwestheimer Handballer pleite gehen, passt ins Bild jener Chaos-Monate. Für den Oßweiler Teil der HBR ist es jedoch unerheblich: Am Niedergang des Handballs made by TSG ändert sich nichts. Im Mai 2007 meldet Thomas Lutz für die TSG Oßweil Insolvenz an.

Lutz ist damals seit zwei Jahren Vorsitzender der Noch-TSG. Von den Problemen, die ihm dieser Job bescheren würde, hat er zunächst keine Ahnung. Aber er versucht, sie zu lösen – und verspricht den Mitgliedern, dass es die TSG auch in Zukunft geben wird. Und dass in Oßweil auch in Zukunft Handball gespielt wird. Aber es kommt ganz anders. Die Summen, die die TSG wegen der Steueraffäre nachzahlen soll, sind zu groß. „Es ist schade, dass sich das damals so entwickelt hat“, sagt Thomas Lutz heute. Aber eine Alternative zur Insolvenz habe es nicht gegeben.

Doch genau dies kann man nun, da der endgültige Steuerschaden feststeht, zumindest hinterfragen. Die Angeklagten im Strafprozess vor dem Landgericht hatten die Ergebnisse der Steuerfahndung von Anfang an als falsch bezeichnet. Sie räumten ein, Fehler gemacht zu haben, eine „perfekt organisierte Steuerhinterziehung“ jedoch stritten sie stets ab.

Handball in Oßweil ist ganz vorbei

Ganz grob erklärt funktionierte die Steuerhinterziehung aus Sicht der Experten so, dass die Verantwortlichen den Lohn für die Oßweiler Profihandballer so gering rechneten, dass nur ein relativ kleiner Teil versteuert werden musste. Und es wurden Pauschalen für Übungsleiterstunden und Fahrtkosten veranschlagt, die es in Wirklichkeit – so der Vorwurf – nicht gegeben habe. Bei der nun festgestellten Summe hinterzogener Steuern haben diese Positionen nach Informationen unserer Zeitung eine entscheidende Rolle gespielt.

Demnach konnten die Verantwortlichen nachweisen, dass die Pauschalen mitnichten immer zu unrecht verrechnet wurden. Außerdem musste bei einigen der Spieler von einst auch die Steuerklasse geändert werden – zugunsten einer für sie günstigeren. Alles zusammen reduzierte sich so die Steuerschuld auf die nun bekannten 130 000 Euro. Theoretisch hätte sich jedenfalls durch die geringere Steuersumme auch die Höhe der Sozialabgaben reduzieren müssen. Theoretisch also wäre die Insolvenz der TSG vielleicht vermeidbar gewesen. Aber: zu spät.

In Oßweil gibt es aktuell eine Damen- und eine Herrenhandballmannschaft. Beide spielen beim Nachfolgeverein SV Oßweil – noch. In absehbarer Zeit werden sie zum Handballverein HB Ludwigsburg wechseln, dorthin also, wo die Jugendlichen bereits sind. Vielleicht können sie mit den Spielern dort etwas erreichen, das über die Bezirksliga (Damen) und die Bezirksklasse (Herren) hinausreicht.

In Oßweil aber gibt es Handball dann nur noch in der Erinnerung.

Berühmt-berüchtigter Verein

TSG
Die Turn- und Sportgemeinschaft (TSG) wurde 1895 gegründet. Ihre bekanntesten Vertreter werden die Handball-Herren. 1976 steigen sie in die erste Bundesliga auf, wo sie sich ein Jahr halten. 1991 kehren die Herren nach Jahren in der Ober- und Regionalliga in die Bundesliga zurück. Bis 1998 spielt die Mannschaft in der zweiten Liga. Im Jahr 2002 kehrt sie dorthin zurück und hält sich dort bis zum Ende der TSG 2006.

Affäre
Der Strafprozess vor dem Landgericht beginnt im Juni 2007. Angeklagt sind fünf ehemalige Verantwortliche der Profi-Spieler. Sie sollen von 2000 bis 2005 Steuern und Sozialabgaben hinterzogen haben. Einigen von ihnen wird außerdem Untreue, Urkundenfälschung und Bestechlichkeit vorgeworfen. Im Januar 2008 endet der Prozess. Zwei Angeklagte werden zu einer Bewährungsstrafe verurteilt, die drei anderen Verfahren werden während des Prozesses eingestellt.