Enttäuscht und ratlos: Die deutschen Handballer nach der Pleite gegen Spanien. Foto: imago/Vegard Wivestad

Der desaströse Auftritt der deutschen Handball-Nationalmannschaft gegen Spanien zeigt die Brennpunkte im Team. Wir beleuchten die wichtigsten vor dem dritten Vorrundenspiel am diesem Montag (18.15 Uhr/ZDF) gegen Lettland.

Trondheim - Es wäre nicht das erste Mal, dass eine deutschen Handball-Nationalmannschaft ein Vorrundenspiel verloren hat – und dann doch noch sehr weit gekommen ist. Aber die Art und Weise wie sich das Team von Bundestrainer Christian Prokop beim 26:33 (11:14) gegen Spanien präsentiert hat, stimmt vor dem Spiel gegen Lettland an diesem Montag (18.15 Uhr/ZDF) äußerst bedenklich. Aus mehreren Gründen.

Indisponierter Kapitän Uwe Gensheimer hockte wie ein Häufchen Elend in den Katakomben der Spektrum Arena von Trondheim. Er vergrub den Kopf unter einem Handtuch und wollte kaum aufschauen. „Spanien war auf jeder Position besser“, stellte er ernüchtert fest. Der Kapitän ist so etwas wie ein Sinnbild der Krise. Die EM läuft bisher komplett an ihm vorbei. Beim Auftakt gegen die Niederlande flog er mit Rot vom Platz, gegen Spanien schmorte er nach schwacher erster Halbzeit auf der Bank. Insgesamt hat er schon vier Siebenmeter verworfen. Auch bei den Rhein-Neckar Löwen spielte er nach seiner Rückkehr aus Paris keine tolle Vorrunde, er wies schon deutlich bessere Quoten auf. Ist der 33-Jährige über seinem Zenit? Darüber wollte sich Stefan Kretzschmar nicht auslassen.

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Der frühere Weltklasse-Linksaußen stellte aber die These auf, dass den Mannheimer die Spielführerbinde hemmt: „Uwe ist ein Freigeist und Künstler, er ist sein eigener Boss auf seiner Position und kann nicht für andere Verantwortung übernehmen“, sagte die Handball-Ikone in ihrer Sendung „Kretzsches Talk“. Bundestrainer Christian Prokop hält dagegen: „Uwe spielt von seiner Chancenverwertung her momentan nicht optimal, ich glaube aber nicht, dass er mit seiner Rolle überfordert ist. Er ist ein Weltklassespieler, wird das abhaken und sich aufs nächste Spiel konzentrieren.“

Fehlende Führungsspieler Im deutschen Spiel fehlt ein Mann, der im freien Fall die Reißleine zieht, ein Anführer wie ihn die Spanier in Routinier Raul Entrerrios haben. Einer, der in Stresssituation, wenn eine Partie in die falsche Richtung zu entgleiten droht, Ruhe reinbringt, das Tempo wechselt oder mit bedingungsloser Emotionalität Verantwortung übernimmt und die richtigen Entscheidungen trifft. Auch DHB-Vizepräsident Bob Hanning vermisste Führungsqualitäten gegen Spanien komplett.„Ein Team ohne Leadership funktioniert halt auch nicht. Es ist egal, wie es ist, du brauchst eine Führung in dem System“, sagte er. Stefan Kretzschmar drückte dies in seiner gewohnt saloppen Art so aus: „Es fehlten Leute im Team, die einen Arsch in der Hose haben.“ Kapitän Gensheimer ist – unabhängig von seinem Formtief – auch durch seine isolierte Außenposition nicht der geeignete Mann dafür. Diese Rolle muss ein Rückraumspieler übernehmen.

Mutloser Angriff Die Erkenntnis ist nicht neu: Der Rückraum, ohne einen klassischen Spielmacher, ist die Hauptproblemzone der deutschen Mannschaft. Dass das Angriffsspiel der Deutschen aber so einfach lahmzulegen ist, stimmt sehr bedenklich. Selbst dem EM-Neuling Niederlande ist das im Auftaktspiel phasenweise gelungen, den Spaniern fast über die komplette Spielzeit. Mit ihrer – alles andere als überraschenden – aggressiven, extrem offensiven 3:2:1-Deckung brachten sie das DHB-Team völlig aus dem Konzept.

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Die Anzahl der technischen Fehler brachten den Bundestrainer zur Verzweiflung. Seine Spieler warfen die Bälle weg und luden die Spanier zu einfachen Toren ein. Dazu fehlte es an Mut, an Bewegung und an der Überzeugung, voller Energie aufs Tor zu gehen. Außerdem stellt sich die Frage, warum die Außen bei den sich bietenden großen Räumen nicht öfter einliefen. Kretzschmar fasste es in einem Satz zusammen: „Das war Abgezocktheit gegen Angsthasenhandball.“

Zahme Abwehr Eine erfolgreiche Deckung, egal in welcher Formation, basiert immer auf dem Zusammenspiel mit dem Torwart. Das kann nicht funktionieren, wenn ein Weltklasse-Keeper wie Andreas Wolff bei 16 Würfen nur eine Parade zeigt. Ihm rutschten genauso wie Johannes Bitter (sechs Paraden bei 23 Würfen) einige Bälle unglücklich durch die Hosenträger. Was aber auch an den Vorderleuten lag. „Uns hat die Galligkeit und die Emotion gefehlt“, räumte Abwehrstratege Hendrik Pekeler ein.

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Und Ex-Bundesligatrainer Rolf Brack stellt fest: „Der Abwehr fehlte es an Kompaktheit, auch weil zu viel aus dem Stand verteidigt wurde.“ Er wünscht sich häufiger den Stuttgarter Patrick Zieker als Deckungsspieler auf der Halbposition und den Einsatz des siebten Feldspielers. Brack: „In Anbetracht der schlechten Angriffseffizienz hätte dieses taktische Mittel früher kommen müssen.“

Verunsicherter Trainer Es lässt sich viel über Christian Prokop diskutieren. Warum wird sein Matchplan von den Spielern nicht umgesetzt? Warum beginnt in der zweiten Halbzeit wieder Andreas Wolff im Tor? Warum lässt er Paul Drux oder auch Julius Kühn so lange auf der Bank? Warum kommt Marian Michalczik erst gar nicht zum Einsatz? Auch über die Sache mit dem vergessenen Namen von Timo Kastening in der Auszeit gegen die Niederlande („Äh, äh, wie heißt du?“) und das Ganze danach zunächst als Späßchen zu verkaufen, kann man lächelnd hinweggehen oder aber auch als „No go“ einstufen. Fest steht: Souveränität sieht anders aus. Es ist zu früh, den Stab über Prokop zu brechen, aber der Bundestrainer muss mit dem Team schnell die Kurve bekommen. Bei weiteren desolaten Auftritten wie gegen Spanien, droht ihm das Aus. Denn beim Olympia-Qualifikationsturnier im April steht viel auf dem Spiel.