Gedenken an die Opfer der Mordserie von Hanau. Foto: AFP/TOBIAS SCHWARZ

Fast alle Parteien werfen einen ernüchterten Blick auf ein Land, das die Gefahr von rechts unterschätzt hat. Die AfD wird in der scharf geführten Debatte kritisiert.

Berlin - Bijan Djir-Sarai war elf Jahre alt, als er in Deutschland ankam. Das Flugzeug aus Teheran, in das seine Eltern ihn in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft gesetzt hatten, landete in Frankfurt. Er wuchs bei seinem Onkel auf. Heute ist Djir-Sarai Bundestagsabgeordneter der FDP, beschäftigt sich mit Außenpolitik. Am Donnerstag tritt er zu einem anderen Thema ans Rednerpult. Es sei ein Bedürfnis, so sagt er.

Das Parlament hat eine Debatte mit dem Titel „Konsequenzen aus den rechtsterroristischen Morden von Hanau“ auf die Tagesordnung gesetzt. Es ist der erste volle Sitzungstag, seit am 19. Februar der Täter von Hanau, getrieben von rassistischer Ideologie, neun Menschen erschoss, seine Mutter und sich selbst tötete.

„Betroffenheit reicht nicht“

„Dass sich Menschen in Deutschland nicht mehr sicher fühlen, ist ein unhaltbarer Zustand“, sagt Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble zu Beginn. Betroffenheit reiche nicht. Hanau fordere „Aufrichtigkeit vom Staat – der sich eingestehen muss, die rechtsextremistische Gefahr zu lange unterschätzt zu haben“.

Nun aber spricht Djir-Sarai. Es wird sehr still unter der Kuppel, als er sagt: „Die wenigsten von uns haben eine Vorstellung davon, was es heißt, Bürger mit Migrationshintergrund zu sein. Das, was man inzwischen persönlich erfahren muss, ist zutiefst verstörend.“

„Menschen haben zu Recht Angst“

Um zu beschreiben, was sich verändert hat – das Klima, aber auch die tatsächliche Bedrohung –, erinnert Djir-Sarai an ein Gespräch mit seinen Eltern kurz vor dem Abi. Sie rieten ihm, Medizin zu studieren. Warum? „Sollten sich die politischen Verhältnisse in Deutschland eines Tages verändern, und du musst das Land verlassen, als Arzt wirst du überall arbeiten können“, hätten sie gesagt. Ein absurder Gedanke, fand er. „In den Tagen von NSU, Kassel, Halle und Hanau mache ich mir aber oft Gedanken über den Satz meiner Eltern.“ Er denke nicht darüber nach zu gehen. „Aber ich spüre zum ersten Mal seit Langem, dass Menschen in diesem Land zu Recht Angst vor der Zukunft haben.“

Es ist einer der ganz wenigen Momente in der Debatte, der ohne Schärfe auskommt, aber die Notwendigkeit der Auseinandersetzung verdeutlicht. Dass die Regierung den Kampf gegen Extremismus aufnimmt, daran lassen weder Innenminister Horst Seehofer noch Justizministerin Christiane Lambrecht Zweifel. Aber wird das gelingen? Und wann? „Ich würde gerne hier stehen und Ihnen versprechen, dass sich Hanau nicht wiederholt“, sagt Lambrecht. „Ich kann das nicht.“

Im Plenum wird es laut

Im Parlament allerdings geht es für alle anderen Parteien auch um die Auseinandersetzung mit der AfD – fast jeder Redner weist der Partei eine Verantwortung für sprachliche Verrohung zu. Es wird schnell laut im Plenum.

Da reicht es, dass der Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus über die Angst von Menschen spricht, weil „sie einer bestimmten Gruppe angehören, weil sie einen bestimmten Glauben haben und weil sie das Gefühl haben, der Staat kann sie nicht schützen“. Als er dann sagt: „Der Feind unserer Demokratie steht in diesen Tagen rechts – und nirgendwo anders“, setzen die wütenden Rufe aus der AfD-Fraktion ein. „Vielleicht war es ein Einzeltäter, aber er wurde getragen von einem System der Hetze, der Erniedrigung und der Anleitung zu Gewalt. Und diese Spur führt hinein in den Bundestag, und die AfD ist der Komplize“, sagt der SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich.

Kein Wort der Trauer

Auch zwei Redner aus der AfD sprechen zur Sache. Roland Hartwig findet seine eigene Erklärung, wer dem Terror den Boden bereitet: „Wenn Sie all den Menschen, deren Meinung Sie nicht teilen, ständig den Mund verbieten, wenn Sie diese Leute stigmatisieren und isolieren, dann schaffen Sie selbst die Räume der Radikalisierung.“ Der AfD-Redner Gottfried Curio zitiert ganze Passagen aus dem Pamphlet des auch psychisch gestörten Täters von Hanau und wirft den anderen Parteien vor, die Tat zu instrumentalisieren. Worte der Trauer für die Opfer findet er nicht.