Am Flughafen Stuttgart stehen drei Hagelflieger – hier zündet einer zur Demonstration seinen Rauchgenerator. Foto: Gottfried Stoppel

Wenn ein Gewitter naht, steigen am Flughafen Stuttgart die Hagelflieger auf. Bislang war der Rems-Murr-Kreis bei der Hagelabwehr Vorreiter, jetzt ziehen zwei weitere Landkreise nach.

Waiblingen/Leinfelden-Echterdingen - Dicke Wolken hängen über dem Flughafen Stuttgart. Hagelgefahr? „Heute nicht“, meint Frank Kasparek – „dazu ist es zu kalt.“ Ein Blick auf das Satellitenbild auf seinem Tablet-Computer bestätigt: An diesem Tag herrscht zwar Sauwetter, aber Eis wird wohl kaum vom Himmel fallen. Die drei Hagelflieger, die über der Region Stuttgart auf Wolkenjagd gehen, können also am Boden bleiben. Trifft sich gut, denn der Beirat Hagelabwehr der Region Stuttgart, allen voran der Rems-Murr-Landrat Richard Sigel, will sich an diesem Tag ein Bild von der Arbeit der tollkühnen Männer in ihren sprühenden Kisten machen.

Keine Raketenwerfer, sondern Rauchgas-Generatoren

Recht martialisch sehen die Vorrichtungen aus, die unter den Flügeln beziehungsweise am Rumpf der Flugzeuge, einer Cessna und zweier Partenavias, hängen. Doch die silbernen Geräte sind keine Raketenwerfer, sondern Rauchgas-Generatoren. Sie versprühen eine Silberjodid-Verbindung unterhalb von Gewitterwolken; dort bilden sie Billionen von Kondensationskeimen, an denen sich kleine Wassertröpfchen sammeln können. „Dadurch entstehen keine großen Hagelkörner mehr, sondern viele kleine – und die schmelzen, bis sie unten ankommen“, erklärt Frank Kasparek.

Seit April sind die Hagelflieger über der Region Stuttgart einsatzbereit für die nächsten fünf Jahre. In diesem Zeitraum beteiligen sich auch die Landkreise Ludwigsburg und Heilbronn an der Finanzierung des Projekts, das jährlich 325 000 Euro kostet. In der jüngsten Zeit teilten sich zehn Städte und Gemeinden aus dem Remstal, der Rems-Murr-Kreis, die Städte Stuttgart und Esslingen, Wein- und Obstauverbände sowie Versicherungen und Firmen die 325 000 Euro, die jährlich für den Einsatz von zwei Flugzeugen anfallen.

Das Land Baden-Württemberg hatte sich im Jahr 1997 aus der Finanzierung zurückgezogen, auch der nun zurückgekehrte Kreis Ludwigsburg war vor 20  Jahren aus der Hagelabwehr ausgestiegen – immerhin ist ihre Wirksamkeit umstritten. Doch das Interesse, Hagelschäden in Grenzen zu halten, ist groß – zum Beispiel im Weinbau oder bei Automobilherstellern.

Laut einer Versicherung haben die Hagelflieger 5 Millionen Euro Schaden verhindert

Die Beteiligten der Hagelabwehr Region Stuttgart sind allerdings zufrieden mit den Ergebnissen ihres Projekts: „Unsere Auswertungen zeigen immer wieder, dass dicke Regentropfen fallen, wenn bei uns die Hagelflieger geflogen sind. In benachbarten Regionen wird dann oft Hagelniedergang gemeldet“, sagt Georg Enssle vom Landwirtschaftsamt Rems-Murr. Auch die WGV-Versicherungen, die seit dem Jahr 2015 den dritten Hagelflieger am Flughafen Stuttgart betreiben, sind überzeugt, dass sich der Aufwand rentiert: Sie gehen davon aus, dass durch die Flugeinsätze im Jahr 2015 Hagelschäden in Höhe von rund fünf Millionen Euro verhindert werden konnten.

Seit dem vergangenen Jahr bekommen die Piloten alle fünf Minuten neue Wetterdaten ins Cockpit geschickt – eine eigens entwickelte App macht’s möglich. So können die Flieger ihre Einsätze besser koordinieren. Dass das nötig sein kann, hatte zum Beispiel der 27. Mai 2016 gezeigt – damals waren wegen eines heftigen Gewitters alle drei Flieger gleichzeitig in die Luft gegangen.

Zahlen und Fakten zur Hagelabwehr

Flugzeuge
: Am Flughafen Stuttgart sind drei Hagelflieger stationiert – zwei der Hagelabwehr Region Stuttgart, einer, den die WGV-Versicherungen finanzieren. Die Firma Radar-Info gibt ihnen Bescheid, wenn in der Umgebung Gewitter und Hagelschläge drohen.

Alarm: Die Piloten erhalten Warnmails mit wichtigen Informationen – zum Beispiel zur Stärke eines Gewitter und der Windrichtung. Wenn der meteorologische Dienst Hagel voraussagt, steigen sie in ihre Maschinen.

Zahlen: Die Piloten der Region Stuttgart sind im Jahr 2015 an zwölf Tagen 24 Einsätze geflogen – die meisten davon im Juni. Dabei waren die zwei Flugzeuge rund 32 Stunden in der Luft. Der Flieger der WGV-Versicherungen stieg zu seinen Einsätzen über ganz Württemberg 38 Mal auf und blieb dabei insgesamt fast 84 Stunden in der Luft.