Sigrid Nikutta ist seit Ende 2019 Chefin bei DB Cargo. Foto: Lichtgut//Leif-Hendrik Piechowski

Sigrid Nikutta soll als Chefin der Bahnfrachttochter DB Cargo dem darbenden Güterverkehr auf der Schiene auf die Sprünge helfen. Im Interview sagt sie, wie das gehen könnte und warum auch die Autoindustrie davon profitieren kann.

Der Güterverkehr auf der Schiene erfreut sich großer Beliebtheit – dies allerdings vor allem in Reden zur Verkehrswende. Größter Anbieter in Deutschland ist die Frachttochter der Deutschen Bahn, deren Zahlen nicht rosig sind. DB Cargo-Chefin Sigrid Nikutta erklärt, was sich ändern muss.

Frau Nikutta, kennen Sie den Nudelzug?

Natürlich. Wir nennen ihn aber Pastazug. Und davon fährt nicht nur einer, sondern mehrere.

Ein Pasta-Hersteller fuhr regelmäßig seine Produkte von Norditalien nach Ulm. Ende Februar wurde die Verbindung eingestellt, weil sie zu unzuverlässig sei. Steht das sinnbildlich für den Güterverkehr auf der Schiene?

Nein, überhaupt nicht. Das ist nur ein Einzelbeispiel eines Zugs, der übrigens nicht von DB Cargo gefahren wurde. Der Trend kann nur eine Richtung kennen, nämlich immer mehr Güter auf der Schiene zu befördern, seien es nun Nudeln oder andere Waren. Denn das ist die ökologischste Art Güter zu transportieren. Gegenüber der Straße spart das 80 bis 100 Prozent des CO2-Ausstoßes. Wir ersetzen mit einem Zug 52 Lastwagenfahrten.

Innerhalb von 30 Jahren hat sich die Zahl von Gleisanschlüssen bis aufs Firmengelände von mehr als 11 000 auf gut 2400 reduziert. Fahren Sie schlicht an Ihren Kunden vorbei?

Sie werden erleben, dass wir zukünftig immer mehr neue Kunden zielgenau erreichen. Denn DB Cargo fährt grundsätzlich überall hin, wo und wie es der Kunde wünscht. Hier in Baden-Württemberg haben wir 278 aktive Gleisanschlüsse – das können einzelne Ladegleise sein bis hin zu einem kompletten Rangierbahnhof wie in den Automobilwerken in Sindelfingen oder Neckarsulm. Natürlich ist das die einfachste Lösung, weil die Güterwagen bis aufs Firmengelände rollen. Deswegen freue ich mich, dass es von der Bundesregierung ein Reaktivierungsprogramm für Gleisanschlüsse gibt. Bei neuen Industriegebieten sollen Gleisanschlüsse immer geprüft werden. Der Blick zurück hilft nicht, mein Job ist es, die Verkehrsverlagerung der Zukunft zu gestalten. Wir blicken nach vorne und haben jetzt die Chancen zu gestalten.

Und Kunden an stillgelegten Anschlüssen haben das Nachsehen?

Ich freue mich sehr, wenn die Kunden jetzt wieder auf die Schiene setzen. Es gibt eine Entwicklung, die uns sehr entgegenkommt. Waren werden zunehmend in Standardcontainern transportiert. Das ist ideal für Bahnwaggons. Und wo es keinen Gleisanschluss gibt, holen wir die Ware – idealerweise mit Elektro-Lkw – ab und verladen sie am nächstmöglichen Punkt auf die umweltfreundliche Schiene. Dieses Angebot gilt für alle!

Das ist kein artenreiner Transport auf der Schiene.

Es geht nicht ums Entweder-oder, sondern um Transportlösungen, die die Umwelt möglichst wenig belasten und die schnell realisierbar sind und die vor allem einen messbaren Beitrag zum Klimaschutz leisten. Und dazu kann auch gehören, dass ein kleiner Anteil des Gesamtwegs auf der Straße zurückgelegt wird, insbesondere mit Elektro-Lastwagen. Wenn die lange Strecke auf der Schiene gefahren wird, wird maximal CO2 eingespart.

Wie komplex ist es, eine Firmen wieder ans Schienennetz anzuschließen?

Der Vorteil ist, dass die Infrastruktur eisenbahnrechtlich einen Bestandsschutz genießt und sich meist auf einem bestehenden Firmen- und Bahngelände befindet. Da sind Reaktivierungen einfach und schnell möglich. Es ist gut, dass viele Kunden auch über einen erstmaligen Schienenanschluss nachdenken. Da gibt es die üblichen Genehmigungsverfahren, die etwas mehr Zeit brauchen. Das lohnt sich aber für die nächsten Jahrzehnte.

Wie hoch ist das Interesse auf Unternehmerseite, noch dazu, wenn diese womöglich selbst Lkws herstellt?

Deutschland wird klimaneutral werden und dabei spielen grüne Lieferketten eine bedeutende Rolle. Ich stelle tatsächlich eine große Entschlossenheit in der gesamten Industrie fest, jetzt umzudenken und klimafreundliche Lösungen in die Praxis umzusetzen. Auch die angesprochene Automobilindustrie hat Klimaneutralität in ihren Zielen verankert und arbeitet nach meiner Einschätzung sehr mit Hochdruck daran sie umzusetzen. Unsere angebotene grüne Lieferkette hilft dabei. In Baden-Württemberg etwa sind wir beim Transport für die Autoindustrie von 2021 auf 2022 um zehn Prozent gewachsen.

Wie sieht das konkret aus?

Wir fahren für alle drei großen im Land ansässigen Automobilhersteller. Wir transportieren Teile für die Produktion aber auch fertige Autos zu den Häfen oder ins europäische Ausland. Das dritte große Feld, in dem wir kräftig wachsen, ist die Batterielogistik. Wir fahren beispielsweise für Mercedes-Benz die in Stuttgart-Hedelfingen produzierten Batterien auf der Schiene nach Bremen, weil dort die Endmontage für die aktuellen Top-Elektrolimousinen ist.

Das mag sich für ein Unternehmen der Größe von Mercedes rentieren. Wie sieht es aber mit Mittelständlern aus?

Für die kommen ganze Züge, wie wir sie für die großen Automobilhersteller fahren, sicher nicht in Frage. Aber wir haben einen starken Einzelwagenverkehr – ein großes europäisches grünes Netzwerk auch für einzelne Wagenladungen. Bei kleineren Unternehmen werden einzelne Güterwagen beladen, abgeholt und zusammen mit Wagen anderer Kunden zu einem Zug zusammengestellt. So etwas passiert hier in der Region zum Beispiel im Rangierbahnhof in Kornwestheim. Allein in Deutschland gibt es weit mehr als 2000 Zugangspunkte in dieses System.

Dieser Einzelwagenverkehr wurde stiefmütterlich behandelt, weil er für die Bahn aufwendig ist. Denken Sie um?

Allein mit dem Einzelwagenverkehr sparen wir rund zwei Millionen Tonnen CO2 im Jahr. Und wir ersetzen über 6 Millionen Lkw-Fahrten. Da der Einzelwagenverkehr sehr infrastrukturlastig und auch veraltet ist, ist er dauerhaft defizitär. Das System ist nirgendwo in Europa profitabel betreibbar. Es ist aufwendig, aber ökologisch hoch sinnvoll. In unseren Nachbarländern wie Frankreich oder Österreich wird deshalb dieses System Einzelwagenverkehr gefördert. Die CO2-Einsparung rechtfertigt das in vollem Umfang. Denn niemand kann ernsthaft wollen, dass aus Profitabilitätsgründen diese Mengen auf den LKW zurückverlagert werden. Das ist eine politische Weichenstellung.

Fordern Sie eine dauerhafte Subventionierung?

Eine zeitweise Förderung für CO2-Einsparungen ist mit Sicherheit sinnvoll und richtig. Mit der Automatisierung und der Digitalisierung, also Investitionen, die in den vergangenen Jahrzehnten nicht gemacht wurden, wird auch der Einzelwagenverkehr ökonomisch tragfähig. Damit können wir auch die Gütermengen steigern und viel schneller und effizienter werden. Unser Ziel in Deutschland ist doch klar: Das Primat des klimafreundlichsten Verkehrsmittels. Für die Unternehmen muss der ökologisch sinnvollste Transport auch ökonomisch der sinnvollste sein.