Der Ortshistoriker Klaus Philippscheck beim Gang durch die Altstadt. Foto: factum/Granville

Die Gruppe „Wir alle sind die Stadt“ entwirft Visionen für eine bessere Architektur in Sindelfingen. Dabei spart sie keineswegs mit Kritik am Rathaus.

Sindelfingen - Am 23. Januar will der Oberbürgermeister Bernd Vöhringer mit den Sindelfingern diskutieren, wie die Stadt sich an der Internationalen Bauausstellung beteiligen könnte. Für Klaus Philippscheck steht das Ergebnis des Gesprächs aber schon fest: Sie kann sich gar nicht beteiligen. „Es gibt in Sindelfingen kein einziges Gebäude, das internationales Publikum locken könnte“, sagt der Ortshistoriker. Was nach seiner Ansicht auch für die fernere Zukunft gilt. Termin der Bauausstellung ist das Jahr 2027.

Damit bis dahin womöglich doch noch Vorzeigbares in Sindelfingen entsteht, organisieren Philippscheck und seine Mitstreiter zwei Tage später gleichsam die Gegenveranstaltung. Dort präsentieren sie ihre Vorschläge für die Zukunft. Der Ortshistoriker hat gemeinsam mit anderen architektonisch Interessierten die Initiative „Wir alle sind die Stadt“ gegründet. Rund anderthalb Jahre ist das her. Der Architekt Ruggero Scodanibbio zählt zu den Gründungsmitgliedern, aber auch Fachfremde wie der Ex-Börsenmakler Jürgen Stauch und der Grafiker und Fotokünstler Jimi Riegg. Gemeinsam ist ihnen allen, dass ihnen die Vision eines schöneren Sindelfingen vorschwebt.

Vision eines schöneren Sindelfingen

In ihrer neuen Innenstadt sind Autos überflüssig. Elektrische Kleinbusse transportieren die Menschen. Historische Häuser kontrastieren spektakuläre Neubauten. Der Einzelhandel blüht, weil die Kunden des Breuningerlands nach dem Einkauf durch Sindelfingen flanieren. Schlicht, weil die Stadt „bundesweit bekannt für ein gelungenes architektonisches und ästhetisches Gesamtkonzept“ ist. So haben sie es gemeinsam formuliert unter der Überschrift „Stell dir die Stadt Sindelfingen in 20 Jahren vor!“.

Einstweilen muss die Gruppe sich allerdings mit kleinen Erfolgen bescheiden. Wie mit dem, dass vor dem historischen Gasthof Hirsch ein Parkplatz zum Biergarten umgewidmet wird. „Das war unsere Idee“, sagt Philippscheck. Bis zu ihrer Verwirklichung wird es allerdings noch zwei Jahre dauern. Dann wird das Gasthaus saniert und umgebaut sein. „Die Stadt hat das verschlafen, obwohl sie ewig wusste, dass die Wirtsleute aufhören“, sagt Philippscheck.

Zwei Jahre allein für die Renovierung eines Traditionslokals sind bereits ein Maßstab, der ihn plagt. Zwei Jahre sind aber auch die Zeit, in der einfach gar nichts passieren kann. Jimi Riegg hatte einst mit Protestveranstaltungen versucht, den Abriss eines historischen Hauses an der Ziegelstraße zu verhindern, das er befristet für eine Ausstellung gemietet hatte – vergeblich. Deshalb war er zu der Gruppe gestoßen. Im Februar 2017 musste er nach einer Finissage mit Schlussdemo ausziehen. Das Haus steht noch immer.

Hobby-Planer mit konkreten Vorschlägen für die Stadt

Philippscheck plaudert gern und viel. Wenn er über die Stadt plaudert, spricht er selten freundlich, sondern von Trägheit, Behäbigkeit oder eben Versagen. Die Stadt plane nicht, sie lasse planen, von Investoren, die kein Interesse an Qualität hätten, sondern nur an renditeoptimierten Einheitsbauten. Ihretwegen müssten immer mehr identitätsstiftende Altbauten weichen. Das ist die Grundkritik.

Die Hobby-Stadtplaner hegen nicht nur Visionen, sie tingeln auch mit konkreten Vorschlägen. Zu ihnen zählen ein gläsernes Tor zur Altstadt und eine futuristische Aussichtsplattform mit Blick über das Zentrum. Sie haben ihre Vorschläge mit Kommunalpolitikern genauso diskutiert wie mit dem Gewerbeverein und dem Chef des Stadtplanungsamts, Michael Paak. „Wir werden überall freundlich empfangen, und man findet unsere Ideen gut“, sagt Philippscheck. Nur scheitert die Verwirklichung an den beiden Prinzipien des Beamtenhandelns: Das haben wir noch nie so gemacht. Wo kämen wir denn da hin?

„Die sagen immer, wir bräuchten erst einen Generalplan, den haben wir nicht“, erzählt Philippscheck, „ich warte schon 20 Jahre auf ihn“. In der Tat zeugt mancher Flecken in der Stadt von scheinbar ewigem Siechtum, zuoberst das leere Kaufhaus Domo oder das alte Postareal. Die Ergebnisse der Bürgerbeteiligung dazu sind auch schon älter als drei Jahre. „Man darf nicht über einzelne Häuser diskutieren, man muss architektonische Funktionen festlegen“, sagt Philippscheck, „dann kann man gleich loslegen“. Ein Anfang soll am Freitag gemacht werden.