Beim Schreibenlernen gibt es viele Hürden. Foto: dpa/Sebastian Gollnow

Die jüngsten Vergleichstests von Drittklässlern in Baden-Württemberg bestätigen die Lerndefizite der Grundschüler im Land. Neu ist ein genauerer Blick auf die Ursachen.

Bei den jüngsten Vergleichsarbeiten von Grundschülern – den alljährlichen Vera-Tests im dritten Schuljahr – haben sich die Leistungsdefizite bestätigt, die der IQB-Bildungstrend bei den Viertklässlern jüngst offengelegt hat. Der Trend, wonach mehr als ein Fünftel der Kinder im Südwesten die Mindestanforderungen verfehlt, hat sich bei der Auswertung von Vera 3 verfestigt. Im Lesen haben 22 Prozent der 89 000 Drittklässler in diesem Frühjahr das Mindestniveau verfehlt. In Mathematik sind es 24 Prozent der Jungen und Mädchen, in Rechtschreibung sogar 34 Prozent.

Wenig überraschend ist, dass sich die Systemmängel bei der Vermittlung der Grundfähigkeiten Lesen, Schreiben und Rechnen seit der vorherigen Erhebung beim IQB-Bildungstrend von 2021 nicht verflüchtigt haben. Über die Bestätigung der groben Trends hinaus liefern die Vera-Ergebnisse Erkenntnisse über die genaueren Ursachen der elementaren Bildungsdefizite. So lässt sich jetzt genauer beschreiben, welche Rolle fehlende Deutschkenntnisse und soziale Nachteile spielen.

Während der IQB-Trend ermittelt hat, dass in Baden-Württemberg 49 Prozent der Grundschüler einen Migrationshintergrund haben, hoben die Vera-Vergleichsarbeiten auf die Sprachkompetenz ab. Laut Einschätzung der Lehrkräfte, die im Rahmen der Vera-Arbeiten befragt wurden, ist für 24 Prozent der Drittklässler eine Fremdsprache die Alltagssprache.

Migrationshintergrund ist nicht gleich Sprachproblem

Daraus folgt, dass etwa die Hälfte der Kinder mit Migrationshintergrund nicht mit Deutschproblemen zu kämpfen hat. Bei der anderen Hälfte sind die Folgen dramatisch: Fünfzig Prozent erreichen beim Lesen nicht das Mindestniveau. Zum Vergleich: Bei Kindern mit Deutsch als Alltagssprache sind es lediglich 13 Prozent. Die fehlenden Deutschkenntnisse schlagen ähnlich stark aufs Rechnen und die Rechtschreibung durch.

Was soziale Nachteile und ihre Folgen für den Lernerfolg angeht, wurde beim Vera-Test der international gebräuchliche 100-Bücher-Index genutzt. Er hat sich in den Sozialwissenschaften als belastbares Anzeichen für Bildungsnähe oder -ferne mit allen Vor- und Nachteilen erwiesen. Laut den Informationen des Kultusministeriums wachsen gemessen an diesem Index 36 Prozent der getesteten Drittklässler im Südwesten in bildungsnaher Umgebung auf, während 64 Prozent (knapp 57 000 Schüler) einen bildungsfernen Hintergrund haben. Dabei sind in acht Prozent der Haushalte weniger als zehn, in 21 Prozent weniger als 25 und in 35 Prozent der Schülerfamilien weniger als unter hundert Bücher vorhanden. Je weniger Bücher es gibt, desto öfter haben die Drittklässler die Mindeststandards in allen Schlüsselkompetenzen unterschritten.

Was Bildungsferne mit hundert Büchern zu tun hat

Bei der Schlüsselkompetenz Lesen lohnt es sich, die Zusammenhänge näher zu beleuchten und die Vera-Ergebnisse, die das Institut für Bildungsanalyse im Land (IBBW) veröffentlicht hat, in absolute Zahlen umzurechnen. Knapp 57 000 Drittklässler wachsen bildungsfern auf. Von 7120 Kindern, bei denen es unter zehn Büchern gibt, haben laut IBBW 52 Prozent den Mindeststandard verfehlt. Von fast 18 700 Drittklässlern mit zehn bis 25 Büchern im Haushalt ist jeder Dritte unter dem Mindestniveau geblieben. Von 31 200 Kindern mit 25 bis 100 Büchern haben 18 Prozent das Mindestniveau verfehlt. Insgesamt haben fast 15 500 Kinder aus bildungsfernen Schichten beim Lesen die nötigsten Fähigkeiten nicht gelernt; das entspricht einem Anteil von 27 Prozent.

Die Untersuchung belegt, dass fehlende Deutschkenntnisse und Bildungsferne erhebliche Nachteile beim Lernen der Grundfähigkeiten darstellen. Sie belegt aber auch, dass die Bildungsungerechtigkeit nicht ganz so ausgeprägt ist, wie Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) sie in der Pressemitteilung beschreibt. „So erreichen 52 Prozent der Schülerinnen und Schüler, die aus bildungsfernen Elternhäusern kommen, den Mindeststandard im Bereich Lesen nicht“, heißt es dort. Das gilt aber nur für jene acht Prozent der Haushalte, die nicht einmal zehn Bücher besitzen. Zählt man alle als bildungsfern geltenden Schichten zusammen, verfehlt nur jeder vierte Schüler mit diesem Hintergrund das Mindestniveau. Das ist immer noch zu viel soziale Ungerechtigkeit; aber die Unwucht ist kleiner. „Die aktuellen Vera-Ergebnisse zeigen einmal mehr, dass es wichtig und richtig ist, Lesen, Schreiben und Rechnen in den Mittelpunkt unserer Förderung zu stellen“, erklärt Schopper.