Cem Özdemir hat das schwer Denkbare geschafft: Der CDU bei einer Bundestagswahl als Grüner in Baden-Württemberg ein Direktmandat abgeluchst. (Archivbild) Foto: imago images/Jürgen Heinrich/Jürgen Heinrich via www.imago-images.de

Aktuellen Auszählungen nach hat Cem Özdemir als erster Grüner in Stuttgart das Direktmandat geholt. Am späten Abend des Wahlsonntags war er bei Anne Will. Für ihn liegt jetzt alle Macht bei Grünen und FDP.

Berlin - Der ganz große Wurf ist den Grünen bei der Bundestagswahl nicht gelungen. Trotzdem saß der Grünen-Politiker am Sonntagabend wie ein Sieger beim Talk von Anne Will im Ersten. Denn, so zeichnet es sich in den Hochrechnungen ab: Ohne die Grünen – und ohne die FDP – wird niemand Deutschland regieren können, ganz unwahrscheinliche Konstellationen mal ausgeklammert.

Was in der Elefantenrunde begann, setzte sich in der Talkshow fort: Die Großen, SPD und CDU, vertreten durch Lars Klingbeil und Reiner Haseloff biedern sich den Kleinen, dem Grünen-Bundestagsabgeordneten Cem Özdemir und Volker Wissing, dem Gesandten der anderen Königsmacherin, der FDP, an.

Entsprechend leicht schien es dem Stuttgarter Özdemir, der dem CDU-Gegenkandidaten Stefan Kaufmann höchstwahrscheinlich das Direktmandat abjagen konnte, zu fallen, sich gönnerhaft zu geben. „Beim Triell standen alle drei Kandidaten mach der Diskussion zusammen – das gibt es in anderen Ländern nicht“, „Glückwunsch an die SPD“, dass der selbst formulierte Anspruch aufs Kanzleramt mit Annalena Baerbock als Drittplatzierte deutlich verpasst wurde, scheint aufgrund der komfortablen Verhandlungsposition gar nicht mehr so wichtig zu sein.

„Wären mit dem Klammerbeutel gepudert“

Zwar gestand Özdemir auf Nachfragen Anne Wills, durchaus „frustriert“ über das Wahlergebnis zu zu sein, richtete dann aber direkt den Blick nach vorne auf die Koalitionsverhandlungen: „Dass wir zu SPD die meisten Schnittmengen haben, ist kaum ein Geheimnis“, aber da es für Rot-Grün ja nicht reiche, „wären wir mit dem Klammerbeutel gepudert, wenn wir nicht mit allen reden würden.“ Und unterstrich weiter die neue grüne Anschlussfähigkeit, auch zur Wirtschaft: „Unsere Unternehmen sind in Klimafragen viel weiter als viele in der Politik.“

Ob Grüne und FDP also unter sich ausmachen würden, mit welchem Kanzler sie regieren wollen, wollte Anne Will von Cem Özdemir wissen. Da musste der Grünen-Politiker lachen, die Vorstellung schien ihm zu gefallen, „ganz allein auch nicht, wir brauchen die da schon auch noch dazu“, sagte er Richtung SPD und CDU.

Grün-gelbe Gedankenspiele

Volker Wissing von der FDP bremste die grün-gelben Gedankenspiele, im Hinterzimmer den nächsten Kanzler der Bundesrepublik Deutschland auszuwürfeln, dann aber ein bisschen. Man müsse mit allen gleichberechtigt reden, „sowas kann nicht funktionieren“, mit dem Verweis auf die geplatzten Koalitionsgesprächen 2017: Damals hätten CDU und Grüne die FDP vor vollendete Tatsachen gestellt, ohne sie zuvor in ihre Planungen ausreichend mit einzubeziehen.

Später entstand bisweilen der Eindruck, dass Özdemir und Wissing vergaßen, dass sie nicht in einem Hinterzimmer sind und gerade einen Koalitionsvertrag verhandeln. Man müsse erst gemeinsame Ziele definieren – zu Klimaneutralität wollten ja eigentlich alle gelangen, nur beim Wie, da würden sich die Geister scheiden. Man sei „D’accord“ in einigen Punkten. Während Özdemir und Wissing so redeten, schauten Klingbeil und Haseloff lange nur zu.

Offen bleibt natürlich die Frage, inwieweit Grüne und Freie Demokraten ihre Gräben wirklich zuschütten können. Der Versuch scheint zumindest unternommen zu werden. Denn es war schon auch in der Chemie zwischen Özdemir und Wissing zu spüren: Echte Liebe ist das nicht. Aber mit der wurden auch selten erfolgreiche Regierungen gebildet.