Der grüne Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir, Sohn eines Jemeniten und einer Sudetendeutschen, regiert seit 2013 als Juniorpartner mit der CDU in Wiesbaden. Foto: dpa

In zehn Tagen wird in Hessen ein neuer Landtag gewählt: Die SPD könnte als zweitstärkste Partei von den Grünen abgelöst, und Tarek Al-Wazir, beliebtester Politiker des Bundeslandes, könnte grüner Ministerpräsident werden.

Kassel - Jetzt nur nicht über die Stränge schlagen. Sagen müssen hat Tarek Al-Wazir aber doch was, nachdem am Donnerstagmorgen die neusten Umfrageergebnisse vorlagen, die die Grünen auf Platz zwei in Hessen sehen, und er in einer Schule mit anderen Politikern in Dreieich-Sprendlingen auf dem Podium saß: Das gebe nun „weiteren Schwung für den Schlussspurt“ und dann verweist er auf die „lähmende Groko“ in Berlin, die die Wähler nicht wollten, da sie weit weg von den „realen Themen“ der Menschen sei. Das klingt recht bescheiden, aber wer sich früh zum Sieger erklärt, der scheitert meist. Schon nach dem Erfolg der Bayern-Grünen hatte Al-Wazir gesagt, man wolle den Ball aufnehmen und am 28. Oktober in Hessen nachlegen. Mit einem Schuss ins Tor? Grüner Ministerpräsident werden, der zweite nach Winfried Kretschmann?

Tarek Al-Wazir ist Vizeministerpräsident und Wirtschafts- sowie Verkehrsminister in Wiesbaden, im Kabinett von CDU-Regierungschef Volker Bouffier, mit dem er einst in herzhafter Feindschaft verbunden war, mit dem er aber seit 2013 harmonisch Seite an Seite regiert. Hier der großväterliche Typ und frühere Goldkettchenträger Bouffier (66), da der smarte stets vom Sakko begleitete Al-Wazir (47), auch schon ergraut. Das konstruktive Miteinander der beiden, das Aushandeln von Konflikten hinter verschlossenen Türen – das gibt auch CDU-Mann Bouffier als Gütesiegel von Schwarz-Grün aus, mit dem sich die hessische Regierungspolitik vom „Durcheinander“ der großen Koalition im Bund unterschieden habe. Im Wahlkampf haut Bouffier eher auf die „Roten“ ein und beschwört die Gefahr von Rot-Rot-Grün, doch seinen Koalitionspartner und Duz-Freund Al-Wazir spart er von Kritik aus. Das ist insofern erklärbar, als er ihn angesichts des absehbaren Verlustes der Mehrheit von Schwarz-Grün noch brauchen könnte, wenn es darum geht, ein Jamaika-Bündnis zu schmieden und die FDP ins Boot zu holen. Es ist aber auch möglich, dass Al-Wazir mit seinen Umfragewerten davon galoppiert: Mit den aktuell 22 Prozent für die Grünen in Hessen hat er die SPD vom zweiten Platz verdrängt. Setzt sich der Trend fort, könnte der Grüne auch den Anspruch auf das Ministerpräsidentenamt erheben und eine Rot-Rot-Grün-Koalition oder eine Ampel mit SPD und FDP anführen. Al-Wazir will sich an solchen Gedankenspielen nicht beteiligen, es kämen ja noch andere Umfragen, sagt er.

Schon mit 24 Jahren ist Al-Wazir in den Landtag eingezogen

Im übrigen, so der Sohn eines Jemeniten und einer Sudetendeutschen, heiße sein Name ins Deutsche übersetzt eigentlich „Minister“. Der Begriff Ministerpräsident setze sich im Arabischen aus zwei Worten zusammen, sagt er schmunzelnd: Da müsse man schon Großwesir sagen. Auch, dass er erneut zum beliebtesten Politiker Hessens gekürt wurde, will er tiefer hängen: „Ich fange nicht an zu schweben, fühl mich nicht als der Tollste und Schönste.“ Die Zustimmung rühre daher, so der Diplom-Politiologe, der schon mit 24 Jahren in den Landtag kam, „dass ich erst als Fraktionschef und dann als Minister seit 18 Jahren durch dieses Land pflüge“ – und sie beruhe auf seiner Sacharbeit, der Umwelt- und Klimaschutzpolitik von der es vorher in Hessen „nicht viel“ gegeben habe.

Im nordhessischen Kassel steigt Al-Wazir in eine für ihn gecharterte grüne Straßenbahn, um mit dem Wahlvolk ins Gespräch zu kommen. Und da muss er seine Zusammenarbeit mit den Schwarzen begründen. Sie hat in Wiesbaden gelegentlich für Zoff auch innerhalb der Grünen gesorgt, etwa als es um die Verabschiedung des Polizeigesetzes ging, das SPD, FDP und Linke einhellig geißelten und Kritiker anmerken ließ, die Grünen führten den Staatstrojaner ein. Oder da gab es den Streit mit Umweltverbänden, als die grüne Umweltministerin Priska Hinz einer weiteren Verklappung von Salzabwassern der Kaliindustrie in der Werra befristet zustimmte. Es gibt auch das Streitobjekt Frankfurter Flughafen, Hessens Jobmaschine, bei dem die Grünen den Bau des genehmigten Terminals 3 mittragen mussten trotz vorheriger Ablehnung, wobei sich Al-Wazir zugute hält, dass „ich für den Lärmschutz viel hingekriegt habe“.

Zum Ende des Hitzesommers wird der Klimawandel wieder Wahlkampfthema

In der Straßenbahn erklärt eine ältere Dame, dass es ihr sauer aufstoße, dass die Grünen in Hessen den Begriff Heimat plakatierten, vermutlich um der AfD nachzueifern. Al-Wazir nimmt sich Zeit für die Frau, erklärt, dass man den Begriff nicht den Rechten überlassen dürfe und ihn positiv besetzen müsse. Außerdem stehe da nicht nur „Heimat“, sondern der Zusatz „natürlich“. Dann zitiert er Winfried Kretschmann: Heimat werde nicht weniger, wenn man sie teile. Im übrigen: „Meine Heimat ist Offenbach.“ Am Ende sagt die ältere Dame, der Al-Wazir habe sie nun doch überzeugt.

Seit ein paar Wochen haben die Grünen ein neues Thema: das Wetter. „Wir sind hier in Kassel Mitte Oktober und schwitzen – das ist doch nicht normal“, sagt Al-Wazir. Viele Leute kämen auf ihn zu, Landwirte, Hobbygärtner und ältere Menschen. Die sagten, sie hätten so einen Sommer noch nie erlebt und sie machten sich Gedanken. Der Edersee sei fast verschwunden, habe nur noch zehn Prozent seines Wassers. Es werde wieder über den Klimawandel diskutiert: „Der Klimaschutz ist in den Köpfen angekommen, auch das könnte eine Erklärung für die Stärke der Grünen sein.“