In Berlin präsentiert die Agrarbranche derzeit ihre Erzeugnisse. Kritische Verbände nutzen die Messe, um auf die aus ihrer Sicht verfehlte EU-Landwirtschaftspolitik hinzuweisen. Foto: dpa

Umweltschutz- und Landwirtschaftsverbände fordern, Bauern müssten für die Erfüllung von gesellschaftlichen Erwartungen wie Tierwohl, Biodiversität, Arten- und Naturschutz honoriert werden.

Berlin - Eine junge Frau trägt Getreidegarben im Arm. „Aus der Wildnis“ steht in großen Buchstaben auf dem Transparent. Es ist das Motto des Partnerlandes Finnland auf der Grünen Woche in Berlin, die am Donnerstagabend eröffnet worden ist. Aber mit der Wirklichkeit und der industriell organisierten Landwirtschaft hat das romantische Bild am Eingang wenig zu tun. Darauf hat auch das sogenannte Agrarbündnis – ein Verbund von Organisationen für Umwelt- und Naturschutz sowie Landwirtschaft – bei der Vorstellung des „Agrarkritischen Berichts 2019“ hingewiesen.

Statt „Agrarreförmchen“ zu vollziehen, fordert das Bündnis eine radikale Wende in der Agrarpolitik der EU. Bernd Voß von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft sprach sich für eine starke gemeinsame EU-Agrarpolitik aus, die Abstand nehmen solle von den lediglich an die bewirtschaftete Fläche gebundenen Direktzahlungen: Honoriert werden müsse vielmehr eine Erfüllung von gesellschaftlichen Erwartungen wie Tierwohl, Biodiversität, Arten- und Naturschutz: „Die bisher pauschal je Hektar Fläche gezahlten Gelder müssen überführt werden in eine zielgerichtete Honorierung konkreter Leistungen der Betriebe für Umwelt, Tierschutz und lebendige Dörfer.“ Auch müssten „vernichtende“ Preiskrisen durch faire Marktregeln verhindert werden.

Kritik an Tierwohlkennzeichen

Einen Umbau des Ackerbaus und eine Abkehr von den Pestiziden verlangte Hubert Weiger, Vorsitzender des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND): „In den letzten 27 Jahren hat die Biomasse der Insekten in Deutschland um 76 Prozent abgenommen. Von den etwa 560 Wildbienenarten, die in Deutschland heimisch waren, sind 50 Prozent ausgestorben oder bestandsgefährdet.“ Ohne eine Kurswende in der Agrarpolitik seien die Insekten zum Aussterben verdammt: „Die EU-Agrarminister müssen die Mittel so einsetzen, dass natürliche Lebensräume geschützt und naturnahe Räume geschaffen werden können“, forderte Weiger.

Kritisch ins Gericht mit den vom Bundeslandwirtschaftsministerium auf den Weg gebrachten Tierwohlkennzeichen und eine Fleischkennzeichnung ging Thomas Schröder, Präsident des Tierschutzbundes: „Ein freiwilliges, staatliches Tierwohlkennzeichen muss wirklich ein Mehr an Tierschutz bieten. Ein zu geringer Abstand zu gesetzlichen Vorgaben belastet das System und zerstört das Vertrauen beim Verbraucher.“ Schröder verlangte eine nationale Nutztierstrategie, wie sie beispielsweise auch Wissenschaftler vom Thünen-Institut in Braunschweig vorgeschlagen haben. Nach Ansicht der Tierschützer ist die landwirtschaftliche Tierhaltung keine Angelegenheit der Verbraucher, sie sei vielmehr „mit staatlichem Ordnungsrecht durchzusetzen“.

Agrarexporte in ärmere Länder problematisch

Mit im Boot des Agrarbündnisses sitzen auch die Globalisierungskritiker, die auf die Einhaltung der Nachhaltigkeitsziele der UN pochen. Für Tobias Reichert von Germanwatch ist ein Ende von Armut und Hunger, der Erhalt der Wälder und der Biodiversität „mit dem jetzigen Modell einer industrialisierten und auf billige Exporte ausgerichteten Landwirtschaft nicht zu erreichen“. Die Agrarexporte in ärmere Länder gefährdeten dort eine nachhaltige Entwicklung: „Weil sie dort die Einkommen der Kleinbauern unter Druck setzen.“