2000 Demonstranten protestieren friedlich auf dem Karlsplatz gegen Rassismus, darunter auch OB Fritz Kuhn . Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

In der Landeshauptstadt findet die größte Gegendemonstration gegen rechte Umtriebe statt, die es hier seit den Kundgebungen gegen Pegida 2015 gegeben hat. OB Fritz Kuhn ruft die Bürger auf, sich zu engagieren.

Stuttgart - Eigentlich könnte es auch ein friedliches Musikfestival sein, so unter den Bäumen der Kastanien am Karlsplatz in Stuttgart, und Musik gab es am Freitag ab 14.30 Uhr dort ja schließlich auch. Rap, Weltmusik, Klassik. Mitwippen, in die Höhe fahrende Hände, Beifall. Aber eben auch einen Fritz Kuhn, der sich in Rage redete, wie man es beim Stuttgarter OB nur selten gesehen hat. „In Chemnitz haben die AfD und Neonazis gemeinsame Sache gemacht“, sagte Kuhn, „und es ist zwar klar, dass man in Stuttgart ein Zeichen gegen Rassismus und Diskriminierung setzt.“ Aber auch: „Seien sie wachsam in den nächsten Jahren, damit der rassistische Spuk sein Ende findet, keine Chance hat.“ Die Veranstaltung, auf der der OB auf dem Karlsplatz sprach, war die größte Gegendemonstration gegen rechte Umtriebe, die es seit den Kundgebungen gegen Pegida 2015 in Stuttgart gegeben hat.

Laut dem Veranstalter, dem Projekt 100 Prozent Mensch, sind 2500 Personen gekommen, die Polizei spricht von fast 2000 Demonstranten. Das sind zwar deutlich weniger als bei den Anti-Pegida-Veranstaltungen, wo sich bei der größten Veranstaltung 8000 Menschen auf dem Schlossplatz versammelt hatten. Aber die fand am Abend statt und nicht am Nachmittag. Und, das wurde deutlich: Die neue Stuttgarter Demo gegen Rechts wird wahrscheinlich nicht die letzte ihrer Art gewesen sein. „Wenn die AfD oder deren Verbündete hier in Stuttgart noch mal etwas versuchen, werden wir da sein“, sagt Holger Edmaier von 100 Prozent Mensch. Diesen Wunsch machte Fritz Kuhn in seiner Rede deutlich. Im Herbst eröffne das Hotel Silber, als Gedenkstätte für die Verbrechen der Nationalsozialisten, jeder Bürger solle sie oft besuchen – damit sich solche Verbrechen niemals wiederholten. Anti-Rassismus als Chefsache, und der Wunsch, dass sich die liberale Bürgergesellschaft dafür auf der Straße engagiert.

Das breite Bündnis, das sich am Freitag präsentiert hat, besteht nicht nur aus politischen Kräften. Neben Vertretern der Grünen, der CDU, der SPD, der Linkspartei, und FDP der schwenkten auch Verbände wie der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) oder die Türkische Gemeinde in Baden-Württemberg (TGBW) gemeinsam ihre Fahnen. Bemerkenswert auch die Dichte der Künstler. Neben Eric Gauthier, der mit einem Flashmob ein Zeichen gegen Rassismus setzen wollte, sind die Stuttgarter Schauspielhäuser dabei. Die Rapper Kwadi und Kwaku bespielen die Bühne vor dem Landesmuseum. In Stuttgart gibt es keinen Platz für Rassismus, könnte man meinen, die AfD ist nach internen Querelen im Stuttgarter Gemeinderat schon lange keine Fraktion mehr und Neonazi-Aufmärsche wie in Chemnitz sind hier undenkbar. Wirklich?

Der Marktplatz ist abgegittert

Hier lohnt ein Blick einige hundert Meter weiter auf den Marktplatz. Kurz vor 15 Uhr ahnt man, dass sich auf dem Marktplatz etwas Konfliktträchtiges anbahnt. Ein Bereich in der Mitte des Platzes ist mit Gittern umstellt, ebenso die Zufahrt durch die Marktstraße. Entlang der Gitter stehen kleine Grüppchen Polizeibeamte in voller Montur. Ein Passant erkundigt sich bei einer Streife, was denn los sei. „Da kommt der ‚Bus der Meinungsfreiheit’, das sind die von der ‚Demo für Alle’“, sagt ein Polizist. „Oh, dann muss ich weg hier“, ist die Reaktion des Passanten.

Was ist das Problem mit Meinungsfreiheit? Die 25-jährige Medizinstudentin Julia, die ihren vollen Namen nicht in der Zeitung lesen will, ist extra aus Würzburg nach Stuttgart gekommen, um gegen den Bus zu demonstrieren. „Ich habe das Gefühl, dass die zu kurz denken“, sagt sie. „Ich kenne Sexualpädagogen und weiß, wie die Unterricht machen. Die fragen Kinder, was sie wissen wollen, und drängen ihnen nichts auf.“

Auch wenn die Vorsitzende des Aktionsbündnisses „Demo für Alle“ (DfA), Hedwig von Beverfoerde, die Nähe zur AfD abstreitet, sind doch zwei Vertreter der AfD-Landtagsfraktion die einzigen Politiker, die sich unter die Menge am „Bus der Meinungsfreiheit“ mischen: Carola Wolle und Daniel Rottmann wurden gesehen. Außerdem war der inzwischen aus der AfD ausgetretene Abgeordnete Heinrich Fiechtner dabei.

Trotz Dementi: AfD-Wählerklientel

Der 19-jährige Max L., der vor dem Bus steht und seinen Namen ebenfalls nicht in der Zeitung lesen will, aus Angst, die „Antifa“ könnte ihn ausfindig machen, sagt: „Ich habe die AfD gewählt. Das haben eigentlich alle hier, das ist schon AfD-Wählerklientel.“ In der Stadt ist bekannt, was bei früheren Auftritten des Teams um Hedwig von Beverfoerde geschehen ist: Es kam zu teilweise heftigen Auseinandersetzungen zwischen Gegendemonstranten aus dem linken Spektrum, die den Demozug stoppen wollten. Konfrontationen dieser Art soll es am Freitag jedoch nicht geben. Daher die Gitter und das große Aufgebot der Polizei.

Pünktlich um 15 Uhr rollt der sogenannte „Bus der Meinungsfreiheit“ auf den Platz, begleitet von der Polizei. Die Route überrascht: Die Gegner, die schon auf dem Marktplatz sind – noch ist es nur ein kleines Grüppchen – blicken gespannt in Richtung Marktstraße, die vor dem Kaufhaus Breuninger verläuft. Dort ist die Fahrbahn ebenfalls mit Gittern abgesperrt. Doch dann biegt der Bus an der anderen Seite des Platzes ums Eck. Sofort erhebt sich der Protest, das Grüppchen steht von den Rathaustreppen auf. Die Demonstranten entrollen ihre Transparente.

Das „Antifaschistische Aktionsbündnis“ bekennt Farbe, ebenso der Deutsche Gewerkschaftsbund, auch zahlreiche Regenbogenfarben, das Symbol der Schwulenbewegung, wehen. „Haut ab, haut ab, haut ab!“ schreien sie, als Hedwig von Beverfoerde und ihr Team aussteigen. Auch „Alerta, alerta, antifascista“, der Kampfruf der Antifaschisten erklingt. Man versteht nur wenig von den Ausführungen von Beverfoerdes, das Pfeif- und Protestgetöse ist zu laut. „Wir haben daher unsere zentrale Botschaft auf den Bus geschrieben, er ist ein rollendes Transparent“, sagt die Initiatorin. „Stoppt übergriffigen Sex-Unterricht – Schützt unsere Kinder“, steht da. Beverfoerde und ihr Team sind gegen die Gleichstellung homosexueller Beziehungen mit der Ehe und gegen das, was sie frühe Sexualisierung nennen: Sexualkundeunterricht in der Schule.

Polizei: Keine Vorkommnisse

Den Gegnern hinterm Zaun aus dem politisch linken Lager ruft sie zu: „Wir sind keine Nazis!“ Das verhallt unbeachtet. „Ich bin hier, weil ich gegen die AfD und alles, was rechts ist, bin, und da gehören die für mich dazu“, sagt ein Demonstrant. Dabei bestreitet Hedwig von Beverfoerde jegliche politische Verbindung: „Wir werden von keiner Partei unterstützt oder finanziert“, ruft sie über den Platz.

Für die Polizei ist der Verlauf trotz des Lärms der 800 Demonstranten ruhig. „Wir hatten keine Störungen, keine Vorkommnisse“, sagt der Polizeisprecher Olef Petersen. Die Polizei sei da, weil man mit Gegenkundgebungen gerechnet hat und aus der Vergangenheit die Erfahrung hat, dass unter den Gegnern auch aggressive Demonstranten sein können.

Ebenso pünktlich wie der Bus kam, fährt er um 17.30 Uhr auch wieder ab, begleitet vom Jubel der Gegendemonstranten und „Haut ab“-Rufen.