Nick Clegg Foto: AP

Erfolgreich: Nick Clegg lässt die Spitzenkandidaten der Großparteien alt aussehen.

London - Mit Humor geizen Briten bekanntlich nicht: Über Premier Gordon Brown kippen sie Häme für dessen Tollpatschigkeit, der aalglatte Tory-Chef David Cameron wird als "Lord Schnösel" verspottet. Der Witz über Nick Clegg war immer gleich, nämlich: "Wer ist das?" Mittlerweile lacht darüber keiner mehr. Der Liberale gilt seit dem Wochenende als neuer Winston Churchill, als englischer Barack Obama und Prince Charming der Politik.

Der 43-Jährige war am Donnerstag im Fernsehduell an der Seite von Premier Brown und dessen Herausforderer Cameron aufgetreten und hatte die beiden politischen Schwergewichte verbraucht und roboterhaft aussehen lassen. Clegg, der sich als Einziger wegen seines kleinen Parteibudgets keinen US-Fernseh-Coach hatte leisten können, agierte spontan, entwaffnend offen und dem Publikum zugewandt. Vor allem propagierte er "echten Wandel" im Gegensatz "zu den beiden hier neben mir" - ein Ansatz, der den Nerv vieler Politikverdrossener trifft.

Der Sympathieträger aus Sheffield wartet mit einem Lebenslauf auf, der ihm bald einen Platz im Herzen der Nation garantieren könnte. Sein Vater ist Halbrusse, seine holländische Mutter hat als Kind vier Jahre in einem japanischen Kriegsgefangenenlager verbracht. Vom bemerkenswerten Wohlstand, den der Vater als Banker erwirtschaftete, profitierte auch Clegg. Im Schatten von Big Ben besuchte er eine teure Privatschule; später studierte er Archäologie und Anthropologie in Cambridge. Während ein solcher elitärer Werdegang die Achillesferse Camerons ist, wird Clegg dieser Vorwurf nicht gemacht. Seine Internationalität scheint den für Briten noch immer wichtigen Klassen-faktor auszugleichen. Er spricht Holländisch, Französisch und Spanisch. Deutsch hat er als 16-Jähriger bei einem Austauschaufenthalt in München gelernt.

Aus dieser Zeit stammt einer seiner wenigen bekanntgewordenen Fehltritte: Mit einem Kumpel soll Clegg Kakteen im Gewächshaus seines bayerischen Lehrers angezündet haben. Ein Uni-Stipendium führte den Briten schließlich nach Minnesota und Brügge, wo er seine spanische Frau Miriam GonzÖlez DurÖntez kennenlernte. Das Paar hat drei Söhne. Für das erste Kind nahm sich Clegg eine längere Auszeit vom Job, während seine Frau, eine erfolgreiche Wirtschaftsanwältin, in die Kanzlei zurückkehrte.

Sein Engagement als Abgeordneter im Europaparlament gab Clegg 2004 auf, weil er sich besser um die Familie kümmern wollte und befand, dass "die Menschen zu Hause und nicht in Brüssel von den Vorteilen Europas überzeugt werden müssen". 2005 übernahm der Abgeordnete den Wahlkreis Sheffield, zwei Jahre später wurde das Ausnahmetalent zum neuen Vorsitzenden der Liberal Democrats bestimmt. Der Status der drittgrößten Partei in einem dominanten Zwei-Parteien-System war bisher jedoch bestenfalls obskur. Die "LibDems" sind seit 1922 nicht mehr an der Macht gewesen, Clegg wurde bei Wortmeldungen im Parlament meist niedergebuht.

Nun hat sich das Blatt jedoch dramatisch gewendet: Keine der beiden großen Parteien käme derzeit ohne seine Hilfe auf eine Regierungsmehrheit; nie waren seine Ideen so populär wie heute. Clegg hatte sich schon als Europa-Abgeordneter starkgemacht für mehr Transparenz bei den Diäten - lange vor dem Spesenskandal, der Großbritannien letzten Sommer erschütterte. Er fordert die "langfristige" Einführung des Euro und die Abschaffung von Nuklearwaffen sowie eine komplette Reform des Parlaments. Am Ende könnte das Zwei-Parteien-System dem Mehrheitswahlrecht nach deutschem Stil Platz machen. "Westminster ist wie ein großer, gestrandeter Wal", kritisiert er den Regierungsbetrieb oft und gerne.

Ob die Briten wirklich bereit sind für so viel Wandel oder ob das Phänomen Clegg ein Eintagswunder bleibt, könnte sich schon bei der zweiten TV-Debatte kommenden Donnerstag entscheiden. Dann wird es auch um Europa gehen - ein Thema, das die Mehrheit traditionell nicht so liberal sieht wie die Liberaldemokraten.