Einer der Fleischtrends: Dry Aged Beef – das mehrwöchig getrocknete Fleisch ist bisher eher etwas für Liebhaber. Foto: factum/Jürgen Bach

Der Fleischkonsum der Deutschen steht in der Kritik, nicht nur Umweltschützer drängen auf Veränderungen. Auf der Sindelfinger Grill-Messe sieht man, wohin sich der Markt entwickeln könnte. Manche sprechen vom Fleischessen als Event.

Sindelfingen - Fleisch, das war früher der Sonntagsbraten bei den Eltern und die Wurst zu besonderen Anlässen. Dahin könnte sich der Konsum der Deutschen wieder entwickeln, glaubt man den Anbietern der Trendmesse Grill und BBQ in Sindelfingen, die am vergangenen Wochenende trotz Warnungen vor dem Coronavirus wieder stattfand. Dort war es zwischen den Ausstellerreihen wie in einem Biomarkt während der Grillsaison. Die Schlagworte Nachhaltigkeit und Gesundheit prägten das Bild. Umweltfreundliche Pellets-Grills und Kokosnussschalen als Brennmaterial standen zum Verkauf. Im Gespräch mit den Anbietern hörte man fast minütlich von Kunden, die sich „bewusst ernähren“ und weniger auf den Preis als auf die Qualität achteten.

Die Zahl derjenigen, die weniger, aber besseres Fleisch essen wollen, steigt“, sagt Grill-Expertin Sabine Goldemann. Aktuelle Studien wie etwa die der Unternehmensberatung Ernst and Young untermauern ihre These. Mit ihren Kollegen organisiert Sabine Goldemann seit drei Jahren die Sindelfinger Grill-Messe. Dort versucht sie, nicht nur die Trends der Branche aufzuspüren, sondern auch kleineren Anbietern die Chance zu geben, besondere Produkte zu bewerben. Goldemann selbst ernährt sich zu 80 Prozent vegan, wie sie sagt. Zwischendurch gönnt sie sich aber trotzdem ein Fischfilet oder ein gutes Steak. So gehe es mittlerweile vielen, sagt sie. Fleisch werde zum exklusiven Genussmittel, das Wiener Schnitzel aus der Discounter-Tiefkühltruhe verliere an Wert.

Metzgereien wandern ins Internet

Die Schwarzwälder Metzgerei Reichenbach ist einer der Stars der Szene. Vor einigen Jahren noch wegen der hohen Produktionskosten verlacht, gilt ihr mutiges Konzept heute als vorbildlich: Von der Aufzucht der Tiere über den Futteranbau, die Schlachtung, Vermarktung und den Verkauf übernimmt alles der 70-Mann-Betrieb von Ulrich Reichenbach im Glottertal bei Freiburg. „Seit zehn Jahren brummt der Laden“, sagt der gelernte Metzger im breiten Badisch. Klar profitiere das Unternehmen von gesellschaftlichen Trends. Klima, Umwelt und Transparenz seien heute wichtig, sagt er. Nicht wenige Kunden riefen bei ihm an und wollten mit eigenen Augen sehen, unter welchen Bedingungen Tiere gehalten und wie sie geschlachtet würden: „Diesen Service bieten wir ihnen.“

Auf der Messe präsentiert Reichenbach sein Unternehmen unter dem Internetlogo „Der Schwarzwälder“, unter dem er Fleisch im Netz verkauft. Denn die Kunden kommen heute immer seltener an die Metzgertheke im Dorf, sondern wohnen zunehmend in Stuttgart und Frankfurt und bestellen ihre Ware online vom Sofa. Trotzdem sei Reichenbachs Ökobilanz besser als die vieler örtlicher Bio-Metzger: Sein Fleisch werde nicht von Italien nach Deutschland zur Schlachtung und zum Verzehr nach Frankreich gefahren, argumentiert er. Etwa 2000 Pakete verschickt Reichenbach im Jahr. Im Verhältnis zum stationären Handel ist das natürlich wenig. Aber das Geschäft wächst, auch andere Anbieter drängen auf den Markt.

Heimische Anbieter machen Importen Konkurrenz

Einer der größten der Branche ist der Fleischversand yourbeef von der Tübinger Metzgerei Kiesinger. Der Vorteil des Versandhandels, erklärt yourbeef-Mitarbeiter Jan Steck, sei die Möglichkeit, Nischen zu bedienen und den Kunden Spezialwünsche zu erfüllen. Dafür beschäftigt der Onlinehändler Berater, die am Telefon Fragen beantworten, die so manche Thekenverkäufer noch nie gehört haben. Die betreffen zumeist das Segment des Gourmet-Fleisches, Produkte wie Angus Beef oder Iberico-Schweine, die früher vor allem aus dem Ausland geliefert wurden. An ähnliche Qualitäten trauen sich nun auch einheimische Metzger. Einer der Renner: Dry Aged-Fleisch. Das ist hochwertig gezüchtetes Fleisch, das mit Fett verrieben für mindestens zwei Wochen in die Reifekammer zum Trocknen gehängt wird. Die Enzyme zersetzen die Eiweiße, und das macht das Fleisch zart. Durch die Reduktion des Wassers wird der Geschmack intensiver, Aromen wie von Nüssen und Butter werden genannt.

Ebenfalls gefragt sind sogenannte special cuts, also Fleischzuschnitte, die man normalerweise nicht beim Metzger bekommt, wie etwa den Spidersteak: Ein Stück der Rinderkeule, aufgesetzt auf dem Schlossknochen des Tieres.

14 Euro für ein Steak

Der Unterschied ist auch preislich merklich. Knapp 14 Euro bezahlen Kunden bei yourbeef für ein 600-Gramm Spider Steak. „Bislang verkaufen wir eher an Fleischkenner“, sagt Jan Steck. Um die „Eventisierung“ des Fleisches, das wie ein guter Wein zelebriert wird, dreht sich vieles auf der Sindelfinger Messe. Auch die Industrie um das Produkt selbst herum wächst: Immer ausgefallenere Toppings, Soßen und Marinaden sollen das teure Stück Fleisch ergänzen. Da gibt es zum Beispiel Rubs, das sind Bacon-Gewürzmischungen aus heimischen Schwarzwälder Schinken, oder Grillfondue aus herber Schokolade in Metallplättchen mit dem cleveren Namen Grillpraline.

„Die Konsumenten suchen Alternativen zur Wurst“, sagt Fleischexpertin Sabine Goldemann. Diese drängten zunehmend in die Supermarktregale. Bislang zu kaufen gibt es die Produkte aber eher an der Online-Theke im Netz. Bis zum Sonntagsbraten könnte es also noch dauern.