Grigory Sokolov Foto: Mary Slepkova

Grigory Sokolov hat bei den „Meisterpianisten“ im Stuttgarter Beethovensaal Beethoven und Brahms gespielt.

Stuttgart - Weniger Licht! Sollte sich Grigory Sokolov – was hoffentlich noch lange nicht geschehen wird – einmal von dieser Welt verabschieden, dann könnte es gut sein, dass er die kolportierten letzten Worte Goethes einfach umdreht. Weniger Licht! Passender könnte eine letzte Äußerung für Sokolov nicht sein. Im Laufe seiner Karriere hat der große russische Pianist erst die Beleuchtung im Zuschauersaal vollständig herunterdimmen, dann nur noch einen Spot auf den Flügel richten lassen. Nun mag er es auch auf der Bühne immer schummriger: als wollte er sich selbst, also den vermittelnden Interpreten, allmählich verschwinden lassen, bis nur noch die Musik selbst auf der Bühne wäre, rein, unverstellt, uneitel.

Zuweilen musste man mit den Augen blinzeln, um sich zu vergewissern, dass der bald 69-Jährige wirklich noch selbst auf dem Hocker sitzt, zu dem er anfangs seinen Körper hingeschoben hatte, ohne groß Notiz vom voll besetzten Beethovensaal zu nehmen. Es gehört zu den ungelösten Rätseln des Konzertbetriebs, dass da vorne ein Künstler eigentlich mit sich und seiner Musik ganz alleine bleiben will und dass dennoch vom ersten Klavierton an eine knisternde Spannung im Saal herrscht. Am Freitagabend hat sich das Wunder Sokolov bei frühen und späten Werken Beethovens ereignet, bei Herbstlichem von Brahms und schließlich auch beim obligatorisch langen Zugabenteil. Dem Klassiker, also dem Mozart-nahen Beethoven, war Sokolovs Deutung dabei stets näher als dem Revolutionär und Vorromantiker – nicht nur in der kristallin klar wirkenden zweiten Sonate aus op. 3, sondern gleichermaßen in den Bagatellen op. 119: Da ging es um fortgesetzte Linien und Zusammenhänge mehr denn um Widerhaken, und immer wieder formten rechte und linke Hand subtil nuancierte Fragen und Antworten, ein lebhaftes Gespräch.

Wo junge Pianisten Temperament und Energie oft in die Formung wirkmächtiger Kontraste stecken, setzt Sokolov auf Leises und Leichtes, auf feinste Differenzierungen der Klangfarbe durch Anschlag und Pedalisierung, und diese Tugenden kamen auch Brahms’ Klavierstücken op. 118 und 119 zugute. Die verdeckten Töne der g-Moll-Ballade wirken wie Herbstlaub, das ein sanfter Wind durch ein geöffnetes Fenster in die Stube trägt. Selbst rasche Stücke und laute Passagen haben nichts Grelles, sondern bleiben gelassenes Spiel. Irgendwann ist das Konzert zu Ende, aber angesichts der herrschenden Vertiefung im Publikum ist ernsthaft zu befürchten, dass das gar nicht jeder mitbekommen hat.