Im Flüchtlingscamp auf Chios ist es zu Auseinandersetzungen gekommen. Foto: AP

Dramatische Szenen in Griechenland. Flüchtlinge in den Auffanglagern liefern sich heftige Auseinandersetzungen. Auf der Insel Chios durchbrechen Hunderte einen Maschendrahtzaun.

Athen/Brüssel/Berlin - Wenige Tage vor Beginn der geplanten Flüchtlingsrückführung in die Türkei sind in Griechenland Hunderte Migranten aus einem Auffanglager ausgebrochen. Wie die Zeitung „Ta Nea“ auf ihrer Internetseite berichtete, durchschnitten sie am Freitag den Maschendrahtzaun um das Lager auf der Insel Chios und machten sich auf den Weg Richtung Inselhafen. Ihr Leben sei in dem „Hotspot“ nicht mehr sicher, sagten sie.

In der Nacht waren dort nach blutigen Auseinandersetzungen zwischen Syrern und Afghanen zwei Männer mit Stichverletzungen ins Krankenhaus gekommen. Die Hilfsorganisation Ärzte der Welt zog ihr Team zunächst aus dem Lager ab. Bei den Krawallen war auch das Zelt zur medizinischen Versorgung der Flüchtlinge zerstört worden.

Nach einer Vereinbarung der EU mit der Türkei sollen - nach der Zustimmung des Parlaments in Athen - ab dem 4. April Flüchtlinge von Griechenland in die Türkei zurückgebracht werden. Für jeden Syrer, den die EU abschiebt, soll ein anderer Syrer auf legalem Wege in die EU kommen - die Union rechnet mit bis zu 72 000 Personen.

Das Lager auf Chios ist für 1200 Menschen ausgelegt

Die ersten Syrer werden am Montag in Deutschland erwartet. Das sagte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Dabei handele es sich vor allem um Familien mit Kindern. „Sie kommen voraussichtlich zunächst in Friedland an“, sagte der Sprecher. Es gehe um eine Anzahl Menschen in einer „niedrigen bis mittleren zweistelligen Größenordnung“.

Das Lager auf Chios ist für 1200 Menschen ausgelegt, Berichten zufolge waren es zuletzt 1500. Dumpfe Schläge und laute Rufe ertönten nachts aus dem „Hotspot“, bis die Polizei anrückte. Die Behörden auf Chios forderten von Athen Bereitschaftspolizisten zur Verstärkung, weil es mittlerweile fast jeden Tag zu Ausschreitungen kommt.

Journalisten haben keinen Zutritt mehr zu den Registrierungszentren - schon gar nicht auf den Inseln, wo die Migranten seit Inkrafttreten des Flüchtlingspakts am 20. März quasi inhaftiert werden.

Auch im Lager von Idomeni im Norden des Landes reicht nach Einschätzung griechischer Medien „ein Funke“, um die explosive Lage zu entzünden. Dabei zeigt sich die griechische Polizei hier wie andernorts extrem zurückhaltend, selbst wenn sie von den Menschen attackiert wird. „Die Polizei hat den Befehl, so wenig wie möglich einzugreifen“, sagte der stellvertretende Verteidigungsminister Dimitris Vitsas dem Sender Skai. „Unsere erste Aufgabe ist es, die Familien und Kinder zu schützen.“

Auch in Piräus droht die Lage zu eskalieren

Im Hafen von Piräus, wo derzeit rund 5600 Flüchtlinge und Migranten wild campieren und in den Wartehallen schlafen, drohte die Lage ebenfalls zu eskalieren. Auch dort griff die Polizei kaum ein, als afghanische und syrische Männer sich mit Steinen bewarfen, Mülltonnen umkippten und sich gegenseitig verletzten. Das Hafengelände soll jetzt nach und nach geräumt werden. Die Menschen am Hafen von Piräus sind nicht von der Rückführung betroffen, weil sie vor dem 20. März in Griechenland ankamen.

Allerdings fühlen sie sich ähnlich wie Flüchtlinge in Idomeni in Griechenland gefangen, seit die mazedonische Grenze geschlossen und damit der Weg nach Norden und Deutschland blockiert ist. Mehr als 52 000 Flüchtlinge haben sich seither nach Angaben des griechischen Flüchtlings-Krisenstabes im Land angesammelt - gut zwei Drittel von ihnen gaben jüngst in einer Umfrage an, nach Deutschland zu wollen.

Die Vorbereitungen für den Start der Flüchtlingsrückführungen aus Griechenland in die Türkei kommen nach Angaben der EU-Kommission gut voran. Es seien 40 Experten aus den Niederlanden in Griechenland eingetroffen, sagte eine Sprecherin der Brüsseler Behörde. Am Wochenende und am Montag sollten weitere Mitarbeiter der Grenzschutzagentur Frontex und Experten des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen (EASO) folgen.

Menschenrechtsorganisationen äußern Kritik

Keine Angaben gab es zur Anzahl der Menschen, die am Montag in die Türkei zurückgeschickt werden sollen, und zur Anzahl der Syrer, die gleichzeitig von der Türkei in EU-Staaten gebracht werden sollen. Ziel sei es, Flüchtlinge direkt von den griechischen Inseln in die Türkei zurückzubringen. Die aus der Türkei auf EU-Staaten zu verteilenden Syrer sollen per Flugzeug transportiert werden.

Die Bundesregierung rechnet mit der Rückführung von mehreren Hundert Flüchtlingen von Griechenland in die Türkei am kommenden Montag. Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums sagte in Berlin: „Gehen Sie mal davon aus, dass eine nicht unerhebliche dreistellige Anzahl von Flüchtlingen am Montag zurückgeführt wird.“ Das betreffe nicht nur Syrer, sondern Menschen verschiedener Nationalitäten.

Menschenrechtsorganisationen sehen die Vereinbarung äußerst kritisch. Nach einem Bericht von Amnesty International soll die Türkei in den vergangenen Wochen massenhaft Flüchtlinge aus Syrien in das Bürgerkriegsland abgeschoben haben. Berlin und Brüssel wollen die Vorwürfe prüfen. „Wir nehmen die Anschuldigungen ernst“, sagte eine Sprecherin der EU-Kommission.