Entscheidend ist, was hinten rauskommt: Im realen Fahrbetrieb sind das bei vielen Automodellen sehr viel höhere Schadstoffkonzentrationen als auf dem Prüfstand zulässig Foto: Daimler AG

Die Deutsche Umwelthilfe erwägt, den Entzug der Typgenehmigung für ein Mercedes-Dieselmodell zu beantragen. Eine C-Klasse stieß bei Straßentests bis zum 25-Fachen des zulässigen Stickoxidwerts aus. Daimler räumt die Reduzierung der Abgasbehandlung ein. Das sei zulässig.

Stuttgart - Die überhöhten Schadstoffwerte in der Landeshauptstadt können aus Sicht der Deutschen Umwelthilfe (DUH) nur mit einem drastischen Fahrverbot reduziert werden. Dazu dürfe eine neue blaue Feinstaubplakette nur an Fahrzeuge vergeben werden, die die gesetzlichen Grenzwerte nicht nur auf dem Rollenprüfstand im Labor, sondern bei der täglichen Fahrt auf der Straße einhielten.

In Sachen Abgaswerte versagen Dieselfahrzeuge verschiedener Hersteller beim Realtest. Der von der DUH aufgegriffene jüngste Fall nach Renault und Opel Zafira ist ein C-Klasse Diesel. Der Wagen (220 d mit Euro-6-Norm) habe auf dem Prüfstand der niederländischen Organisation für Angewandte Naturwissenschaftliche Forschung (TNO) „sensationell gute Werte geliefert“, sagte DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch am Donnerstag bei einer Pressekonferenz in Stuttgart.

Schadstoffgrenzwerte sollen 25-fach überschritten sein

Im Fahrbetrieb bei 7 bis 9,5 Grad Celsius habe der Wagen dann aber die „mit Abstand höchsten Schadstoffwerte“ gebracht. Gemessen wurde der Stickoxidausstoß. Zulässig sind beim Diesel 80 Mikrogramm pro Kilometer. Die C-Klasse Euro 6 emittierte bei Stadtgeschwindigkeiten zwischen 30 und 60 Kilometer pro Stunde bis zu 1250 Mikrogramm. Bei konstanten 150 Kilometer pro Stunde wurde der Spitzenwert von rund 2100 Mikrogramm erreicht.

Nicht nur die etwa 25-fache Überschreitung findet Resch bemerkenswert, sondern auch die Tatsache, dass Daimler Abweichungen vom Emissionsgrenzwert einräumt. Ursache sei aber kein „Defeat Device“, also eine Funktion wie bei VW-Modellen in den USA, die die Reinigung komplett ausschaltet.

Die Abgasnachbehandlung werde bei Mercedes „in Abhängigkeit vom jeweiligen Betriebszustand innerhalb des zulässigen Rahmens flexibel geregelt, um den Motorschutz und den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten“, teilte Daimler mit. Das sei keine Manipulation, sondern ein zulässiger Eingriff, um, wie von der EU vorgeschrieben, die Funktion der Abgasnachbehandlung bis zu einer Laufleistung von 160 000 Kilometern sicherzustellen.

DUH rechnet mit baldigen Fahrverboten

Daimler zählt eine Reihe möglicher „Rahmenbedingungen“ auf, die vom Normzustand abweichen und zu Abweichungen vom Grenzwert führen können: Unterschiedliche Temperaturverhältnisse, andere Fahrzeuglasten, der Betrieb von Nebenverbrauchern wie Klimaanlage oder Sitzheizung. Dann werde die Abgasnachbehandlung zum Bauteilschutz flexibel angepasst.

Resch und dem Verkehrsberater Axel Friedrich, der früher Abteilungsleiter im Umweltbundesamt war, geht die Flexibilität deutlich zu weit. Wenn die Werte im üblichen Fahrbetrieb mit 40 bis 60 Kilometer pro Stunde schon bei knapp unter zehn Grad Celsius nicht gehalten und bei 130 auf der Autobahn 25-mal höher seien, entspreche der Wagen nicht mehr der Zulassungsverordnung. Also müsste die Typgenehmigung aberkannt werden. Man wolle daher in der kommenden Woche über einen entsprechenden Antrag an das Kraftfahrt-Bundesamt entscheiden. Für den Opel Zafira Diesel hat die DUH den Antrag bereits gestellt. Sollte er abschlägig beschieden werden, will der Verbraucherschutzverband vor dem Verwaltungsgericht Schleswig klagen.

DUH wie Daimler berufen sich auf die EU-Verordnung 715/2007 für Euro-5- und Euro-6-Fahrzeuge. Dort heißt es, dass Hersteller Fahrzeuge so ausrüsten müssen, dass Bauteile, die das Emissionsverhalten voraussichtlich beeinflussen, „so konstruiert, gefertigt und montiert sind, dass das Fahrzeug unter normalen Betriebsbedingungen dieser Verordnung entspricht“. Ausnahmen für das grundsätzliche Verbot von Abschalteinrichtungen finden sich zwei Absätze später. „um den Motor vor Beschädigungen oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeuges zu gewährleisten“.

Der Eingriff sei eine „ganz normale technische Maßnahme und keine Abschaltung, sondern eine Reduktion“, sagt ein Firmensprecher. „Wir interpretieren die Antwort von Daimler angesichts der Messwerte so, dass es sich um eine Abschaltvorrichtung handelt, um Bauteile zu schützen“, sagt Resch. Es sei bedenklich, wenn eine eingeschaltete Klimaanlage zu solchen Werten führe. Daimler biete keine Lösung für die hohen Feinstaubwerte in Stuttgart, sagt Axel Friedrich, offenbar solle der Zusatzstoff Ad-Blue, der in das Abgassystem eingespritzt wird und im anschließenden Kat die Stickoxide reduziert, gespart werden.

Obwohl der Daimler-Konzern die DUH in ihrer Aufklärungsarbeit durch hohe Schadenersatzandrohungen massiv behindere, „werden wir unsere Aufklärungsarbeit weiter fortsetzen“, sagt Resch. Erfolge sieht er in Frankreich, wo die Regierung wegen ähnlich hoher Grenzwertüberschreitungen den Rückruf von neuen Renault-Dieselmodellen zur Nachbesserung veranlasst habe. Erfolge wolle man noch in diesem Jahr auch in Stuttgart mit einer Klage einfahren. Resch rechnet mit baldigen Fahrverboten.