Zwei Legenden: Der Ex-EU-Digitalkommissar Günther Oettinger (links) stand Gotthilf Fischer im Blühenden Barock zur Seite. Foto: factum/Bach

Der Herr der Chöre, Gotthilf Fischer, bekommt im Blühenden Barock in Ludwigsburg eine goldene Schallplatte überreicht. Dem Internet sei Dank. Aber warum hielt ausgerechnet Günther Oettinger die Laudatio auf den Altmeister?

Ludwigsburg - Sie heißen DaggiBee, LeFloid, Rezo, Gronkh und Bibi. Ihre Welt ist das Internet, sie leben nach einer Maxime: Klicks, Klicks, Klicks – die harte Währung des Internetzeitalters. Die Klickmillionäre auf YouTube sind reich geworden mit Videos, in denen sie Produkte empfehlen oder sich über Promis, Politiker und Videospiele auslassen. Unter sie hat sich nun klammheimlich einer gemischt, der auf den ersten Blick so gar nicht zu ihnen passt: Gotthilf Fischer. Nein, der 91-Jährige macht keine zweifelhafte Werbung für Kosmetikprodukte oder Handyzubehör, er hat nicht einmal einen eigenen Kanal auf der Videostreaming-Plattform. Ein Klickmillionär ist er trotzdem: Mehr als 17 Millionen Mal wurde seine Aufnahme der Europahymne „Ode an die Freude“ mit der Liedzeile „Freude schöner Götterfunken“ im Netz gestreamt. Das entspricht etwa 75 000 physischen Tonträgern, und dafür gibt’s eine goldene Schallplatte. Den Award erhielt der gebürtige Plochinger am Mittwochabend vor dem Parkcafé des Blühenden Barock.

Fischer ein Internetstar? Er sieht das anders

Zu einem Internetstar mache ihn der Erfolg im Netz noch lange nicht, meint er. „Ein Star? Der sitzt vielleicht da oben“, sagte Fischer in Ludwigsburg und zeigte in einen Baum. Fischer hat nicht nur Klicks, er hat Humor – und obendrein hat der Autodidakt, der sich als Hüter des deutschen Liedguts versteht und seit 75 Jahren Chöre leitet, auch eine ganze Menge greifbarer CDs und Schallplatten verkauft. Geschätzt 16 Millionen.

Wer sich auf die Spuren seines Erfolgs im Netz begibt, der muss allerdings lange suchen nach dem 17-Millionen-Klicks-Video. Denn eigentlich existiert es gar nicht. „Das Lied hat aber in der ganzen Welt Freunde gefunden“, erklärt Hans Derer, Chef der Winnender Plattenfirma 7us, bei der Fischer unter Vertrag steht. Hobbyfilmer – auch welche aus Italien und Korea – unterlegten ihre Videos mit dem Lied. Und jedes Mal, wenn eines der Filmchen im Netz angeklickt wird, zählt das für „Freude schöner Götterfunken“. Dass das Label Herz7 die Europahymne drei Monate vor den EU-Wahlen noch einmal als „European Hymn“ aufgelegt hat, habe den Klickzahlen sicherlich auch nicht geschadet, so Derer.

Zwei weitere Legenden geben sich die Ehre

Dass sich eine illustere Gratulationsrunde – wobei die Zahl der Fotografen und Kameraleute die der Zuschauer beinahe übertraf – am frühen Mittwochabend im Blühenden Barock an weißen Stehtischen versammelte, hatte mehrere Gründe: Die Europahymne wurde 2006 gleich um die Ecke in den Bauer-Studios aufgenommen, der Text stammt von Friedrich Schiller, der in Ludwigsburg aufwuchs – und die Location passe gut zu Fischer, sagte Roland Bless. Das ehemalige Mitglied der Band Pur, bei der gleichen Plattenfirma wie Fischer unter Vertrag, hat den Abend mitorganisiert und sein Equipment zur Verfügung gestellt. Neben Bless trat auch Ray Dorset von Mungo Jerry auf, die mit „In the Summertime“ 1970 einen Welterfolg hatten. Dorset steht, welch Überraschung, ebenfalls beim Winnender Label unter Vertrag. „Sein Hit passt so gut wie kein anderer zu so einem Sommerfestle“, sagt Hans Derer. Obendrein sei Dorset glühender Europäer und erklärter Brexit-Gegner, verriet Derer. Neben Gotthilf Fischer wurde bei der Feier eben auch Europa und seine Hymne gefeiert. Deshalb fragte Derer bei Mungo Jerry an, der wie einst mit unverwechselbarer Afromatte und Sonnenbrille gerne kam.

Gott wie Gotthilf

Und dann war da noch Günther Oettinger. Wollte sich der frühere Ministerpräsident einfach mal wieder Maultaschen mit Kartoffelsalat in der Heimat gönnen? Die Größe der Portionen am Buffet jedenfalls dürften die weite Reise von Brüssel ins Schwabenländle nicht gerechtfertigt haben. Hat Oettinger (CDU) derzeit einfach nichts zu tun? Die EU-Kommission ist im Umbruch, und wer will schon umsonst arbeiten, wenn er bald einen anderen Job machen muss.

Dass Fischer die goldene Scheibe aus den Händen des Ditzingers erhielt, ist aber gar nicht so verwunderlich: Oettinger ist glühender Europäer und Verehrer des Kult-Chorleiters zugleich. Wer dachte, der 56-Jährige habe mit Musik so viel am Hut wie ein Flamingo mit Bogenschießen – weit gefehlt. Schon als kleiner Bub habe er sein Taschengeld in Platten der Bee Gees, Beachboys und Rolling Stones investiert. Und bei der Fußball-WM 1974 entdeckte er die Liebe zu Fischer. Sie scheint ins unendliche gewachsen zu sein, was der Ex-Digital-Kommissar am Ende seiner Laudatio bewies. Dabei zeigte er, dass er ein kleines bisschen Internet-affiner als Gotthilf Fischer ist. Oettinger kennt zumindest die automatische Suchwortvervollständigung von Google: „Wenn Sie ‚Gott’ googeln, dann kommt er noch nicht“, sagte Oettinger – gemeint war der Suchvorschlag Gotthilf Fischer. „Sobald Sie aber ein ‚H’ eintragen, dann kommt er.“