Viele Kunden und Bürger wissen das zu schätzen: Das Sanitätshaus Engels an der Hauptstraße (das blaue Gebäude auf unserem Bild) wurde zwar vor zwei Jahren abgerissen. Doch der um ein Stockwerk erhöhte Neubau, der dort inzwischen steht, orientiert sich äußerlich am Original und fällt deshalb als Neubau kaum auf. Foto: Horst Rudel

Viele Bürger sind verunsichert, denn seit Monaten reiht sich eine Baustelle an die andere, viele Gebäude werden abgerissen. Der Baubürgermeister Helmut Renftle hingegen sieht in den enormen Investitionen große Chancen für die Zukunft.

Göppingen - Im Gegensatz zu vielen anderen lassen die Baustellen in der Innenstadt die 80-jährige Kundin im Sanitätshaus Engels kalt. „Ach was, weg mit dem alten G’lump“, sagt sie, bevor sie sich wieder wärmenden Bandagen widmet. Das Geschäft, in dem sie einkauft, ist ein Beispiel dafür, wie man sich im Rathaus die Quadratur des Kreises vorstellt: Einerseits wird in der City zurzeit an gefühlt jeder Ecke etwas abgerissen, andererseits soll die Stadt „ihre Seele trotz aller Veränderungen bewahren“, wie es der Baubürgermeister Helmut Renftle ausdrückt. Die City soll modern sein, viele ansprechende, aber auch genügend günstige Wohnungen bieten und ihre Identität bewahren.

Passanten fällt nicht auf, dass das Gebäude mit dem Sanitätsgeschäft an der Hauptstraße neu ist. Vor zwei Jahren wurde der historische Bau abgerissen. Niedrige Decken, verbaute Räume, verwinkelte Keller, all das hätte eine Sanierung zu aufwendig und teuer gemacht. Doch der Besitzer achtete darauf, dass sich der Neubau optisch am historischen Vorbild orientierte und – trotz der Erhöhung um ein Stockwerk – in die Umgebung einfügte. „Das ist nicht nur bei unseren Kunden gut angekommen“, erzählt Claudia Engels, die das Geschäft im Erdgeschoss betreibt.

Baubürgermeister: Sanierung lohnt sich oft nicht

In vielen Fällen lohne sich eine Sanierung der historischen Gebäude in der Innenstadt einfach nicht, sagt Renftle. Viele Gebäude seien nach dem letzten Stadtbrand 1782 schnell hochgezogen worden, die Wände seien dünn und müssten bei Sanierungen aufwendig und teuer gedämmt werden. „Selbst wenn man die alten Gebäude erhalten könnte, sähen sie nach einer Sanierung nicht so aus wie früher“, erklärt er. Im Gegensatz zu Städten wie Esslingen oder Schwäbisch Gmünd gebe es nur sehr wenige Gebäude, die unter Denkmalschutz stünden und deren Eigentümer damit etwa bei der Wärmedämmung auf Zugeständnisse der Behörden hoffen könnten. „Esslingen hat mehr als 650 denkmalgeschützte Gebäude, wir haben nur um die 80.“

Die Stadt setze deshalb lieber auf den Schutz des „klassizistischen Gesamtbilds“, also den klaren, schachbrettartigen Straßenverlauf, der nach dem Stadtbrand angelegt wurde, und die Grundform der Gebäude mit Geschäften im Erdgeschoss und zwei oder drei Stockwerken mit Wohnungen darüber, den typischen Fensterfronten, Dächern, Materialien und Ähnliches.

Dass jetzt so viel gebaut wird, betrachtet Renftle als Glücksfall. Stadt, Wohnbau und private Investoren stecken dem Baubürgermeister zufolge 300 Millionen Euro in Projekte, so viel wie seit Jahrzehnten nicht. Zurzeit laufen in der City der Stadt zufolge 18 größere Bauprojekte, bis auf drei sind alle mit Abrissen verbunden – ein Graus in den Augen vieler Bürger. Doch Renftle verweist darauf, dass bei 15 dieser Projekte Wohnungen entstünden, die dringend gebraucht würden.

Insgesamt würden rund 80 moderne Wohnungen neu gebaut – anstelle von alten Wohnungen, von denen viele kaum noch zu vermieten gewesen seien. Alle Projekte, so versichert Renftle, seien mit dem Gestaltungsbeirat besprochen worden, der zusammen mit der Stadt darauf achte, dass sich auch die Neubauten privater Investoren ins Gesamtbild fügten.

Manche Stadträte wünschen sich weniger Abrisse und mehr Ideen

Leer stehende Wohnungen, ausgerechnet in Zeiten drückender Wohnungsnot, das ist ein Thema mit dem sich auch die Sozialbürgermeisterin Almut Cobet befasst. Vor einigen Jahren habe es Versuche gegeben, die Zahl der Leerstände zu erfassen, doch das sei schwierig, erzählt sie. Was ihr neben den Leerständen ein Dorn im Auge ist, sind Wohnungen, die als Ferienwohnungen oder Büros zweckentfremdet werden. Die Stadt behalte das im Auge und appelliere an Eigentümer, ihrer sozialen Verantwortung gerecht zu werden. „Zwangsmaßnahmen sind aber nicht geplant.“

Machen sich die Bürger also ganz unnötig Sorgen um ihre Innenstadt? Ganz so einfach ist es dann wohl doch nicht, zumindest, wenn man mit manchen Stadträten spricht. Natürlich leiste der Gestaltungsbeirat gute Arbeit, und es sei sinnvoll, darauf zu achten, dass sich Neubauten ins Gesamtbild eingliederten, sagt etwa der Fraktionschef der Grünen, Christoph Weber. „Aber wir haben trotzdem den Eindruck, dass die Stadt mit Abrissen schnell bei der Hand ist.“ Die Stadt habe sich bisher nie besonders bemüht, Gebäude unter Denkmalschutz stellen zu lassen. Vor der Sanierung des Bahnhofsplatzes sei sogar im Gespräch gewesen, die denkmalgeschützte Villa Gutmann abzureißen.

Zum Thema Wohnen gibt Weber zu bedenken, dass die Mieten in den Neubauten höher liegen würden als die bisherigen. „Aber es gibt auch viele Menschen, die für eine günstige Wohnung Abstriche beim Komfort in Kauf nehmen würden.“ Insgesamt wünscht sich Weber mehr Ideen zur Erhaltung historischer Gebäude und mehr Druck auf private Eigentümer. Das ist allerdings schon deshalb nicht so einfach, weil inzwischen viele Eigentümer nicht mehr in der Stadt leben und sich nicht besonders mit ihr verbunden fühlen, wie man im Rathaus immer wieder hört. Viele hätten die Gebäude geerbt und kein großes Interesse daran, sich Gedanken über ihren Anteil an der Gestaltung des Stadtbilds zu machen.