Jürgen und Brigitte Deininger verabschieden sich schweren Herzens von ihren Kunden. Foto: Ines Rudel

Das Geschäft für Musikinstrumente aller Art, Noten und Reparaturen schließt. Eine Ursache ist der Online-Handel. „Aber die Gründe sind vielfältig“, sagt der Inhaber Jürgen Deininger.

Göppingen - Seit 1947 spielt hier die Musik“, lautet ein Werbeslogan des Musikhauses Deininger in Göppingen. Seit mehr als 70 Jahren verkauft das Geschäft in der Poststraße Musikinstrumente: von der Maultrommel bis zum Flügel, von der Mundharmonika bis zum Cello. Doch das traurige Stück, das im Hause Deininger gerade angestimmt wird, trägt den Titel „Ausverkauf wegen Geschäftsaufgabe“.

„Oh weh, das WWW...“

Der Schlussakkord erklingt in Moll: Das Traditionshaus Deininger schließt Ende April, denn die Musik spielt mittlerweile ganz woanders. Und das nicht etwa im zweiten Musikhaus in Göppingen, dem Piano Centrum Raab Musik, das nur wenige Hundert Meter entfernt liegt. „Oh weh, das WWW . . .“, sagt Jürgen Deininger und lacht, keineswegs bitter. Der Online-Handel mit den Instrumenten sei das Problem. „Das ist halt so.“ Im Internet würden Klaviere, Gitarren, Trompeten und Flöten zu Billigstpreisen angeboten. Rabatte bis zu 30 Prozent. „Da kann der Musikfachhandel nicht mithalten“, sagt Deiniger. Er hat das Geschäft von seinem Vater übernommen und führt es seit 1980 mit seiner Ehefrau Brigitte, einer staatlich geprüften Musiklehrerin.

Drastischer schildert Heinz Stroh vom Gesamtverband Deutscher Musikfachgeschäfte (GDM) die Lage. „Die Leute kommen in ein Musikhaus und lassen sich ein Klavier zeigen“, sagt der Geschäftsführer des Branchenverbands, der die Interessen der Musikfachgeschäfte in Deutschland vertritt. „Die Leute geben dann das Klaviermodell in ihr Smartphone ein und erklären dem Fachhändler, es nur zu dem Billigpreis zu kaufen“, sagt Stroh. Das sei regelmäßig der Fall.

Eindeutiger Trend: immer mehr Musikhäuser schließen

„Geiz ist eben geil“, sagt Deininger. Für ein Fachgeschäft wie seines ist das existenzbedrohend. „Der Kunde stimmt mit den Füßen ab“, sagt der 75-Jährige. Der Trend sei eindeutig, es würden viele Musikfachhändler schließen, sagt Heinz Stroh. „Die Situation für den mittelständischen Fachhandel in den Innenstädtenist generell schwierig.“ Aber für Musikhäuser mit ihrem ganz speziellen Angebot sei es verschärfter. Rund 1000 bis 1200 Musikhändler gebe es bundesweit. Wie viele in den vergangenen Jahren geschlossen haben, kann er nicht sagen. „Exakte, wirklich belastbare Zahlen gibt es leider nicht“, sagt Stroh. Neben dem Online-Handel sieht er einen maßgeblichen Grund in der fehlenden Geschäftsnachfolge. Das ist auch bei Deininger so. „Es ist schwierig, junge, motivierte Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zu finden“, sagt der Chef, der in seinem Betrieb immer junge Leute ausgebildet hat.

„Schlechte Arbeitsbedingungen im Einzelhandel

Die Gründe liegen für den Klavierbauer auf der Hand: „Die Arbeitszeiten sind unattraktiv, und die Bezahlung im Einzelhandel ist nicht hoch.“ Einerseits fällt es Deininger schwer, den Familienbetrieb zu schließen. Das Musikhaus mit den Instrumenten und den Menschen war sein Leben – das sagt sein Herz. Andererseits: Angesichts der Umstände und mit Blick auf sein (Renten-)Alter fällt es ihm aber auch nicht schwer – da gewinnt der Verstand.

Albrecht Burkhart ist an diesem Vormittag eigens aus dem acht Kilometer entfernten Börtlingen nach Göppingen gefahren, um sich bei Deininger noch mal kräftig mit Noten einzudecken und Saiten für sein Cello zu kaufen. Seit 1972 kommt der ehemalige Berufsschullehrer zu den Deiningers. „Ich bedaure es sehr, dass das Geschäft schließt“, sagt der 73-jährige Hobbymusiker, der früher in Göppingen gelebt hat. „Ich werde die persönliche Betreuung und die kompetente Beratung sehr vermissen.“

Eine Ära geht zu Ende

Mit der Deininger-Schließung geht in Göppingen eine Ära zu Ende, die nach dem Zweiten Weltkrieg begonnen hat. Der Vater Adolf hat sich nach seiner Klavierbauerlehre in Aalen und Stationen unter anderem in Frankfurt/Main in Göppingen niedergelassen – anfangs im „Güterschuppen“ am Bahnhof. „Mit dem Fahrrad ist er losgezogen und hat Klaviere repariert“, erzählt Jürgen Deininger. 1954 zog der Laden in die Gartenstraße 40 um: ein Verkaufsraum, 20 Quadratmeter, und eine kleine Werkstatt. Das Geschäft wurde nach und nach vergrößert, schließlich wurden die Räume in der Gartenstraße zu klein, das Gebäude wurde verkauft. Am heutigen Standort in der Poststraße bot sich 1995 Deininger die Chance von 350 auf 1000 Quadratmeter Verkaufsfläche zu erweitern. Dort stehen nun auf zwei Stockwerken die Instrumente zum Ausverkauf: Klaviere, Flügel, Schlagzeuge, Gitarren; auch 25 000 Noten sind im Angebot. Rabatte von bis zu 50 Prozent versprechen die Plakate im Schaufenster.

Göppingen bleibt noch ein Musikhaus

„Ich bin kein Prophet“, sagt Heinz Stroh vom GDM. Aber ganz verschwinden werde die Branche nicht. Es wird wohl eher so aussehen wie bald in Göppingen. Während in Kirchheim (Kreis Esslingen) und Reutlingen alle Musikhäuser geschlossen haben und in diesem Jahr noch das in Schwäbisch Gmünd dichtmachen soll, bleibt Göppingen noch ein Musikhaus: das Piano Centrum Raab, 1950 gegründet. Der Seniorchef Günter Raab hat einen Nachfolger gefunden, 2016 hat er die Firma an seinen 37 Jahre alten Sohn Matthias überschrieben. Und der Klavierbauer will das Familienunternehmen, das seine Großeltern gegründet haben, auf jeden Fall weiterführen. „Das Geschäft ist zwar schwieriger geworden als früher“, sagt auch der 67-jährige Günter Raab, der 44 Jahre das Musikhaus geführt hat. „Aber niemand muss sich Sorgen machen, dass auch wir schließen.“

Ein „bisschen“ macht Deininger noch weiter

Und bis Ende April ist ja auch noch das Musikhaus Deininger da. Ganz Schluss wird danach auch nicht sein. Ein bis zwei Tage in der Woche will Jürgen Deininger noch die Instrumentenwerkstatt aufmachen – und die Telefonnummer, die das Musikhaus schon immer hatte, bleibt auch aktiv. Die Musik spielt also noch ein bisschen weiter – nicht mehr forte, aber zumindest pianissimo. So lange, bis die Göppinger Wohnbau das Deininger-Haus abreißt, das ihr gehört. Denn bis 2022/23 sollen dort Wohnungen entstehen.