Soviel Andrang auf Linienbusse herrscht nur im Schülerverkehr wie hier am Berufsschulzentrum Öde. Foto: Horst Rudel/Archiv

Soll sich der Kreis die Integration in den Verkehrsverbund Stuttgart leisten? In dieser Serie kommen Betroffene zu Wort. Heute: Die Fahrgäste in Bus und Bahn wollen vor allem günstig, schnell und komfortabel ans Ziel kommen – egal, mit wem.

Göppingen - Bundesweit wird zurzeit darüber diskutiert, ob es sinnvoll wäre, den öffentlichen Nahverkehr für die Nutzer kostenlos zu machen, um das Feinstaubproblem in den Griff zu bekommen. Den Kreis Göppingen hingegen bewegt eine ganz andere Frage, die wesentlich größere Aussichten auf eine Realisierung hat: Soll sich der Kreis dem Verkehrsverbund Stuttgart (VVS) anschließen? Die Antwort der Fahrgäste fällt sehr unterschiedlich aus – je nachdem, ob sie sich für ihre Strecke Vorteile bei den Preisen, mehr Komfort oder einen besseren Takt versprechen. Experten sagen, dass der Anschluss die Fahrt mit Bus und Bahn für viele günstiger machen würde – aber nicht für alle.

Wenn es nach Dieter Lutz aus Lauterstein geht, kommt der VVS besser früher als später. Sein Sohn pendelt seit zwei Jahren als Lehrling der Netze BW in den Stuttgarter Stadtteil Stöckach. Der erste Teil seiner Reise führt per Bus um 5.35 Uhr von Lauterstein an den Bahnhof in Süßen. Dafür muss er jeden Monat 36 Euro für das AzubiTicket des Filstalverbunds bezahlen. Von Süßen geht es mit der Bahn weiter nach Bad Cannstatt und dann mit der S-Bahn nach Stöckach. Weil die Fahrt ins VVS-Gebiet führt, muss der Lehrling jeden Monat auch noch 60 Euro für das VVS-Azubi-Ticket hinlegen. Wäre Göppingen ein Teil des Verbunds, könnte sich der 17-Jährige das Filsland-Ticket sparen.

Neben den hohen Preisen verursachen Verspätungen Ärger

Weil außerdem der Takt nicht zuverlässig funktioniere und auf der Filstalbahn bekanntlich ein Chaos herrsche, komme sein Sohn regelmäßig zu spät zur Arbeit, erzählt Lutz. „Eigentlich hätten die ihn schon längst rausgeschmissen, aber zum Glück kenne ich die Meister, weil ich ebenfalls bei der EnBW arbeite“, sagt Lutz. Tatsächlich überlegten die Verantwortlichen bereits, ob sie in Zukunft überhaupt noch Lehrlinge aus dem Kreis Göppingen einstellten, weil die Verbindungen so unzuverlässig seien.

Von unzuverlässigen Verbindungen können auch Jürgen Oßwald aus Wangen und Sven Detzer aus Donzdorf ein Lied singen. Beide pendeln mit der Bahn zur Arbeit nach Stuttgart. Beide protestieren seit mehr als einem Jahr regelmäßig und erfolglos gegen die Zugausfälle und Verspätungen auf der Strecke. Für sie würde ein VVS-Anschluss nichts ändern, denn die Bahnstrecke ist bereits teilintegriert, das heißt, wer im Kreis mit der Bahn losfährt, kann ein VVS-Ticket kaufen.

Pendler sind leidgeprüft und deshalb skeptisch

Dass die beiden alles andere als überzeugte Anhänger des VVS sind, ist leicht zu erklären. Für sie hatte der Teilanschluss vor vier Jahren höhere Preise zur Folge. Nun befürchten sie, ein kompletter Anschluss könnte für sie noch teurer werden. Hinzu kommt, dass ihr Vertrauen in die Verkehrspolitik seit dem Chaos auf ihrer Bahnstrecke ohnehin zerstört ist und beide den Nahverkehr nur nutzen, um zur Arbeit zu kommen. Nach all ihren Erfahrungen sehen sie vor allem Risiken und für sich persönlich wenig Nutzen. „Wenn ich einmal im Jahr nach Ludwigsburg will, kann ich mir die Fahrkarte auch kaufen, oder ich nehme das Auto“, sagt Detzer.

Zumindest was die Fahrpreise angeht, kann der VVS-Geschäftsführer Horst Stammler die Pendler allerdings beruhigen: „Für reine Bahnfahrer würde sich nichts ändern, weil die Filstalbahn ja schon integriert ist“, versichert er. Und wer Bus und Bahn nutze, könne sich dann die zweite Fahrkarte für den Bus sparen.

Vor allem längere Strecken würden im Kreis billiger werden

Wie sich die Preise im Kreis Göppingen genau ändern würden, kann Stammler allerdings noch nicht sagen. Denn das Konzept für die Tarifzonen bei einem VVS-Anschluss wird erst im Sommer fertig. Klar sei aber, sagt Stammler, dass der Nahverkehr für viele billiger würde. Der Grund ist so einfach wie einleuchtend: Die Tarifzonen im Kreis Göppingen sind bisher wesentlich kleiner als im VVS-Gebiet. Während es im Kreis rund 100 Zonen gibt, hat der VVS, der sich über das Stadtgebiet Stuttgart sowie die Kreise Esslingen, Böblingen, Ludwigsburg und Rems-Murr erstreckt, insgesamt nur 52, die im Sommer um weitere sechs bis neun Zonen reduziert werden sollen.

Würde sich der Kreis dem VVS anschließen, fielen auch dort die Zonen deutlich größer aus, was die Fahrpreise vor allem auf längeren Strecken günstiger machen würde. Kurzstrecken hingegen könnten etwas teurer werden. Stammler hat aber bereits öffentlich angekündigt, dass man die Preise bei Härtefällen nur langsam anheben werde. Für Schüler, die größte Nutzergruppe, und Senioren gibt der Filslandverbund bereits Tickets heraus, deren Preise sich an den VVS-Preisen orientieren. Für diese Gruppen würde sich bei den Kosten nichts ändern, sie könnten mit ihren Fahrscheinen aber das gesamte VVS-Netz nutzen.

Busfahren ist im kreis ein „Insider-Ding“

Doch es ist nicht nur die Frage nach den Ticketpreisen, die Fahrgäste interessiert. „Es ist auch wichtig, dass die Angebote gut und übersichtlich kommuniziert werden und dass man sich auch als Ortsfremder leicht orientieren kann“, sagt Friedemann Messer. Der 62-Jährige Bartenbacher ist ein überzeugter Nutzer des Nahverkehrs und engagiert sich unter anderem als Vertreter des alternativen Verkehrsclub Deutschland (VCD) im Fahrgastbeirat des Filsland Mobilitätsverbunds. Er erhofft sich vom VVS viele kleine Verbesserungen im Alltag. Denn dieser habe strikte Vorgaben bei der Fahrplangestaltung, bei der Planung neuer Strecken und bei der Ausstattung von Bussen, sagt Messer.

„Im Kreis Göppingen ist das Busfahren ein bisschen ein Insider-Ding“, kritisiert Messer. „Wenn man nicht sowieso weiß, wo man ein- und aussteigen muss, ist man etwas verloren.“ Während etwa in den VVS-Bussen zwei Monitore den Streckenverlauf und die nächsten Haltestellen anzeigten und per Durchsage stets der nächste Halt angekündigt werde, gebe es in den Bussen in Göppingen nur eine Anzeige der nächsten Haltestelle – und die sei oft kryptisch, etwa „Göppingen Nördl“ für die Nördliche Ringstraße. „So“, davon ist Messer überzeugt, „gewinnt man keine neuen Fahrgäste.“ Auch bei der Werbung und beim Marketing sowie bei digitalen Angeboten könne der Kreis vom VVS nur profitieren.

Der Filsland-Mobilitätsverbund

Zusammenschluss:
Die Bus-Unternehmen im Kreis Göppingen und die Deutsche Bahn haben im Oktober 2010 den Filsland-Mobilitätsverbund gegründet. Seither gestalten sie gemeinsam die Tarife im Kreis und bieten Fahrkarten an, die gleichermaßen für Bus und Bahn gelten. Der einheitliche Tarif trat 2011 in Kraft. Noch nicht erreicht hat Filsland bisher einen Taktverkehr für den Kreis Göppingen. Der erste Anlauf, Busverbindungen durch den ganzen Kreis miteinander zu verbinden, sie auf die Abfahrtszeiten der Bahn abzustimmen und die Busse zu festen Zeiten abfahren zu lassen, ist im Januar 2013 gescheitert. Zurzeit tüfteln Verkehrsplaner im Landratsamt und Vertreter von Filsland am zweiten Versuch.

Partner:
Der Kreis Göppingen und das Land Baden-Württemberg unterstützen den Verkehrsverbund finanziell. Zum 1. Januar 2014 wurde die Filstalbahn in den Verkehrs- und Tarifverbund Stuttgart (VVS) teilintegriert. Wer mit der Bahn über die Kreisgrenzen hinausfährt, für den gilt seither der VVS-Tarif.

Fahrgastbeirat:
Im Oktober haben der Leiter des Amts für Verkehr und Infrastruktur im Landratsamt, Jörg-Michael Wienecke, und Vertreter von Filsland die Vertreter des neu gegründeten Fahrgastbeirats ausgelost. Dieser soll die Perspektive der Kunden einnehmen und dabei helfen, das Angebot kundenfreundlicher zu machen und Probleme schnell zu entdecken und zu lösen. Der Fahrgastbeirat besteht aus zwölf Mitgliedern, die die Sicht der Nahverkehrs-Nutzer vertreten sollen. Er setzt sich aus sechs nichtorganisierten Mitgliedern, vier organisierten Mitgliedern aus Verbänden und Vereinen (ADFC, VCD, Kreisseniorenrat und Kreisbehindertenring), einem Vertreter des Landkreises und einem Vertreter des Mobilitätsverbunds zusammen. Das Gremium hat sich jüngst konstituiert, bei der nächsten Sitzung soll eine Liste mit Verbesserungsvorschlägen abgearbeitet werden.