Ein Techniker prüft den Glockenturm im Apollo-Theater in Stuttgart. Foto: Jan Potente

Der Theatersaal wird zur Kathedrale: Für das Disney-Musical „Der Glöckner von Notre Dame“, das am 18. Februar seine Stuttgart-Premiere feiert, wird im SI-Centrum eifrig geprobt und ein Glockenturm eingebaut.

Stuttgart - Täuschend echt sehen die meterhohen Glocken aus. Doch in Wahrheit bestehen sie aus Pappe und Glasfasermatten. Sobald sie angeschlagen werden, durchdringt ein fulminanter Kathedralensound das Apollo-Theater, als seien die gewaltigen Klangkörper aus Metall gegossen.

Ein einfacher Trick: Der Klöppel ist mit einem Sensor versehen. Sobald dieser die Pappwand berührt, werden Originaltöne von uralten Kirchenglocken aus dem Musikcomputer abgerufen. An raffinierten Täuschungen der Technik mangelt es im Disney-MusicalDer Glöckner von Notre Dame“ nicht, das am 18. Februar Stuttgart-Premiere feiert – unverfälscht sind dagegen die Stimmen eines großartigen Ensembles, das so herausragend ist, dass es keine Kunstgriffe aus digitalen Dateien braucht.

Die Botschaft lautet: Andersartigkeit hat Toleranz verdient

Die Decke der kleinen Probebühne im Keller des Apollo-Theaters in Möhringen beginnt zu vibrieren, wenn die Sängerinnen und Sänger, in sakraler Leidenschaft zum Choralgesang vereint, so heftig losschmettern, dass sich eine Gänsehaut selbst auf Menschen legt, die eigentlich nur zum Fotografieren und Filmen gekommen sind.

Auf Stuttgart, dies zeigt sich an diesem Probennachmittag, kommt etwas Besonderes zu. Auf die Disney-Familienshow „Mary Poppins“ folgt eine ganz andere Disney-Produktion, die düster ein bewegendes Drama der Filmgeschichte erzählt. Die Stage Entertainment empfiehlt, nur Kinder, die älter sind als zwölf Jahre, mit in das Stück zu nehmen. Sonst ist der Disney-Konzern für lustige, bunte und unterhaltsame Stoffe bekannt, nicht so sehr für Ernsthaftigkeit und politische Botschaften. Der Klassiker aus dem Mittelalter transportiert ein sehr aktuelles Thema: Andersartigkeit hat Toleranz verdient.

In Mailand ist das Bühnenbild gebaut worden

Das Bühnenbild, das in Norditalien von den Lieferanten der Mailänder Scala gebaut worden ist, besteht aus vier Türmen mit je zwei Ebenen. Sieben Glocken in drei verschiedenen Größen hängen von der Decke. An einem Seil schwingt sich Quasimodo, um sie zu läuten. Wenn sich der Schauplatz der Handlung aus dem Turm fortbewegt, können die Glocken aus dem Bild nach oben gefahren werden. Dies macht sich akustisch bemerkbar. Der Klang der Lautsprecher wird dem jeweiligen Raum angepasst.

Die Zuschauer sind von Anfang an ein Teil des Spektakels. Die Geräusche des Publikums werden live über mehrere Boxen im Saal übertragen, was an den Hall einer Kathedrale erinnern soll. Von 1999 bis 2002 ist das Stück in Berlin gespielt worden. Nun kommt die Neuinszenierung nach Stuttgart, die es nie an den Broadway geschafft hat. In München ist das Musical zuletzt sehr erfolgreich aufgeführt worden und hat für begeisterte Kritiken gesorgt.

„Wir müssen in Stuttgart viel mehr Mitarbeiter bezahlen als die Münchner“

Weniger begeistert sind die Musicalfans über die großen Preisunterschiede. Dass in Stuttgart die Karten bis zu 75 Euro teurer sind als in Bayern für dieselbe Tourinszenierung des Glöckner, wird immer wieder heftig kritisiert. Stage-Produzent Zsolt Csaba bittet um Verständnis und sagt dazu: „In Möhringen gibt es viel mehr Mitarbeiter, die bezahlt werden müssen, als in München.“ Mit dem Kartenvorververkauf sind die Musicalmacher sehr zufrieden. Nun wollen sie an die große Glocke hängen, dass ein emotionaler Stoff mit monumentaler Musik mindestens für ein Jahr Stuttgart und die Region berühren soll. Längeres Läuten nicht ausgeschlossen.